„Tatort“ aus Wien: Die Kommissare gehen in die drittletzte Runde

vor 22 Stunden 1

Da hängt er, Oberstleutnant Moritz Eisner (Harald Krassnitzer), in unangenehmer Position. Wie ein Sack am Haken, und die Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) macht sich auch noch lustig. Bald darauf befreit ihn der Pfleger Horst Windisch (Michael Edlinger) aus der misslichen Lage.

Für die Bewohner des „Hauses Laetitia“, eines topmodernen Pflegeheims, ist Entwürdigung per technischem Hilfsmittel Alltag. Nur kurz ließ der Pfleger Horst den Toten, Danijel Filipovic (Roman Frankl), nackt im selben Hebekran arretiert über der Badewanne hängen, als der Feueralarm losging und dann auch noch der Strom ausfiel. Fünf Minuten Chaos, die zu Beginn des drittletzten Wiener „Tatorts“ mit Eisner und Fellner, „Der Elektriker“, ablaufen wie eine „Whodunit“-Mit­rateanordnung.

Eisner ist froh, schnell wieder draußen zu sein

Als Horst den Verursacher des Alarms, den früheren Oberkellner Fritz (Johannes Silberschneider), heimlich rauchend erwischt und die Sicherungen wieder eingeschaltet hat, liegt Filipovic ertrunken in der Badewanne. Technikver­sagen, meint Eisner. Keine vorschnellen Schlüsse, sagt die Kollegin. Schließlich gab es schon viele Fälle von „Todesengeln“, Krankenschwestern und Pflegern, die meinten, Schwerkranke und Alte von ihrem Leiden „erlösen“ zu müssen. Pflegenotstand, Personalknappheit, unwürdige Zustände – manches davon trifft auch auf das Haus Laetitia zu. „Der Elektriker“ schildert solche Missstände, will aber eigentlich auf anderes hinaus. Was diesen „Tatort“, der sich mit eher unlustigen Lockerungsübungen über die Ziellinie rettet, nicht recht gelingen lässt.

Eisner ist froh, dem Heim, das ihn bedrückt und an sein eigenes Alter erinnert, bald den Rücken zu kehren, während Fellner ihn weiter aufzieht. Wie viele Klimmzüge er noch könne? „Alle“. Zwischendurch stehen sie in der Abenddämmerung auf dem Dach des Polizeipräsidiums, den Abschied vom aktiven Leben kontemplierend. Eisner: „Alten- und Krankenpfleger ist ein extremer Job. Es gibt nichts Härteres.“ Fellner: „Doch. Arbeiten gehen und zusätzlich daheim jemanden pflegen.“ „Entweder du beutest dich selber aus, um deine Angehörigen zu Hause zu behalten.“ „Oder du hast ein schlechtes Gewissen, weil du sie ins Heim steckst.“ „Kannst nie gewinnen.“ Zu Eisners Unbehagen trägt bei, dass er im Heim Sandra (Martina Spitzer) wiedergetroffen hat. Sie hat ALS, ihre Selbständigkeit vollständig verloren. Eisner schämt sich. Was, wären Sandra und er damals fest zusammengekommen? Würde er sie nun pflegen – müssen? Seine Erleichterung passt nicht ins Selbstbild. Bibi Fellner rückt alles gerade.

Auch die Prostituierte Ramona (Claudia Kottal) ist verdächtig.Auch die Prostituierte Ramona (Claudia Kottal) ist verdächtig.ORF/Petro Domenigg

Solche Exkurse passen zwar zum Verhältnis, das die Wiener Ermittler zueinander entwickelt haben, aber nicht zum Kontext des Falls. Während Eisner, Fellner und die Kollegin Meret Schande (Christina Scherrer) Tatabläufe am Pflegeheim-3D-Modell mithilfe von Glückskeks, Klebestift, Tesaroller und Sojasaucenfläschchen, die Bewohner darstellen, rekonstruieren, werden deren frühere Leben erforscht.

Der Regisseur Harald Sicheritz und die Autoren Roland Hablesreiter und Petra Ladinnig machen aus den Patienten, den Alten und ihren Gebrechen, Menschen mit Vergangenheit, mit kammerspielartig inszenierten Familienerinnerungen und Fotos, mit dem Sichtbarmachen des immateriellen Gepäcks. Hier hat „Der Elektriker“ starke Momente, die den Wiener „Tatort“ (wieder einmal) zurück in die Jugo­slawienkriege führen. Die Kamera von Thomas Kürzl hält meist Distanz.

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Viele sind verdächtig, den Serben Filipovic umgebracht zu haben: Die überschuldete Tochter Linda (Gabriela García-Vargas) hatte ihrem Vater nur mehr ein Taschengeld zugeteilt. Die Pflegerin Patricia (Nina Fog) versucht, die Ermittler hinters Licht zu führen. Der vorbestrafte Fußpfleger und Kriegsveteran Ivica Kjuric (Aleksandr Petrovic) hatte mit Filipovic gestritten. Selbst eine Prostituierte, die den Mann regelmäßig aufsuchte, scheint verdächtig. Lichtblicke für Eisner und Fellner sind vor Ort bestenfalls der pfiffige Ex-Oberkellner Fritz und die elegante Anna (Elfriede Schüsseleder). Beim Kartenspiel zu viert kommt einiges heraus. Auch, dass Eisner ein schlechter Verlierer ist.

Er hat seine Momente, dieser „Tatort“, aber mehr nicht. Anders als der als Se­niorenheim-Katastrophe unübertroffene Münchner „Polizeiruf 110: Nachtdienst“ (2017) mit Matthias Brandt oder der berührende Hospiz-Film „Blaubeerblau“ (2011) mit Devid Striesow ist der „Tatort: Der Elektriker“ zu unentschieden. Eins wissen wir jetzt allerdings: Für den Oberstleutnant wird der Ruhestand schwieriger als für seine Kollegin. Zwei Fälle haben beide noch, um sich und einander zu beweisen.

Der Tatort: Der Elektriker läuft am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.

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