Zum Tod von Rob Reiner: Die Geschichte von Harry und Sally war auch seine eigene

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Vier zwölfjährige Jungs brechen aus einer Kleinstadt in Oregon auf, um die Leiche eines Gleichaltrigen zu bergen, der bei ei­nem Eisenbahnunfall ums Leben gekommen ist. Bei ihrer zweitägigen Wanderung durch die Berglandschaft des amerikanischen Nordwestens werden sie von bissigen Hunden gejagt und von Blutegeln gequält, sie müssen im Wald schlafen und vor einem herannahenden Zug von einer Brücke springen. Als sie den Fundort erreichen, werden sie von einer Jugendbande bedroht, die die Bergung des Toten für sich beanspruchen will. Dem Schüchternsten der vier, Gordie, gelingt es, die Jugendlichen mit einer Pistole zu vertreiben, die sein Freund Chris zu Hause eingesteckt hat. Ein Vierteljahrhundert später ist Gordie ein bekannter Schriftsteller. Als er in der Zeitung liest, dass Chris erschossen wurde, beschließt er, die Geschichte jenes fernen Sommers aufzuschreiben.

Der Film öffnete ihm alle Türen in Hollywood

Das war „Stand By Me“, der Film, mit dem nicht nur River Phoenix, der Darsteller des Chris, sondern auch sein Regisseur Rob Reiner vor fast vierzig Jahren berühmt wurden. Reiner, der Sohn des Regisseurs und Autors Carl und der Schauspielerin Estelle Reiner, war schon lange ein bekanntes Gesicht im amerikanischen Fernsehen gewesen, weil er eine der vier Hauptfiguren in der legendären Familienserie „All in the Family“ – die deutsche Variante war Wolfgang Menges „Ein Herz und eine Seele“ – verkörpert hatte. „Stand By Me“, sein dritter Spielfilm, öffnete ihm nun alle Türen in Hollywood.

 Szene aus Reiners Film „Stand By Me“Vier Freunde in der Wildnis: Szene aus Reiners Film „Stand By Me“Allstar Picture

In der Folge drehte Rob Reiner bis 2007 fast jedes Jahr einen Film. Dazu gehörten Kinomärchen („Die Braut des Prinzen“), Psychothriller („Misery“), Familienkomödien „(North“), Liebesromanzen („Hallo, Mr. President“), Gerichtsdramen („Eine Frage der Ehre“) und politische Krimis („Das Attentat“). In all diesen Genres bewies Reiner das Talent zum visuellen Erzählen, das er schon in „Stand By Me“ gezeigt hatte: einen Blick, der das Wesentliche der Geschichte nicht in ober­fläch­li­chen Effekten, sondern im Inneren der Figuren ausmachte; und eine eigene Musikalität, die nicht nur mit dem Sound­track, sondern auch mit einem besonderen Instinkt für den Rhythmus und das Tempo der Einstellungen zu tun hatte.

Sein international bekanntestes Werk aber bleibt zweifellos „Harry und Sally“ von 1989. Es ist zugleich Reiner autobiografischster Film, denn die Story zweier Singles, die einander beraten, trösten, zusammenkommen, sich zerstreiten, verpassen, vermeiden und schließlich doch noch ein Paar werden, fußte auf eigenen Erlebnissen nach seiner Scheidung. Sein bester Freund Billy Crystal spielte die Hauptrolle, und es war auch Crystal, der die Idee zu der berühmten Schlusspointe der Szene hatte, in der Meg Ryan in Katz’s Delicatessen in New York einen Orgasmus simuliert: „Ich nehme das, was sie hatte.“ Die ältere Kundin, die diesen Satz sagt, ist Reiners Mutter Estelle.

 Meg Ryan und Billy Crystal in „Harry und Sally“Sie lieben sich, sie lieben sich nicht: Meg Ryan und Billy Crystal in „Harry und Sally“Allstar Picture

Rob Reiner war einer jener im europäisch geprägten Ostküsten-Milieu wurzelnden Kinoerzähler, die es im neuen Hollywood der Superhelden und Fantasy-Epen zunehmend schwer haben. Dass seine letzten Projekte, etwa das Politdrama „LBJ“ über die Amtszeit von Lyndon B. Johnson oder ein Film über die Folgen des Irakkriegs („Shock and Awe“), beim Publikum nicht mehr ankamen, hat auch mit dem Wandel der Kulturindustrie zu tun, die statt auf menschliche Gesichter und Geschichten immer mehr auf digitale Fata Morganen setzt. Der Zauber von „Stand By Me“ und „Harry und Sally“ ist in die Serienformate auf Netflix und anderen Streaming-Plattformen diffundiert.

Der Regisseur Reiner war auch politisch aktiv. Er kämpfte für Umweltschutz, die gleichgeschlechtliche Ehe und verbesserte Schulbildung, und er unterstützte Al Gore, Hillary Clinton und Joe Biden bei ihren Wahlkämpfen um die amerikanische Präsidentschaft. Den jetzigen Präsidenten hielt er für einen Rassisten, Sexisten und Antisemiten. Ein Fernsehprojekt von 2021, in dem er die Beziehungen Trumps zu Putins Russland untersuchen wollte, ging leider nicht mehr in die Produktion.

Rob Reiner starb einen gewaltsamen Tod. Am Sonntag wurden er und seine Frau Michele in ihrem Haus in Brentwood bei Los Angeles aufgefunden. Beide hatten tödliche Stichwunden erlitten. Die Po­li­zei hat eine Morduntersuchung eingeleitet. Eine offizielle Bestätigung der Todesursache steht unterdessen noch aus. Rob Reiner wurde 78 Jahre alt.

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