Sein Land werde sich die Bedingungen für ein Kriegsende nicht diktieren lassen, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei Markus Lanz. Das Gespräch war vorab schon gezeigt worden, nun lief es in Auszügen noch einmal beim unvermeidlichen Jahresrückblick. Einordnen ließ sich der Moderator die Ausschnitte von Ibrahim Naber von der „Welt“, der auch seine Erfahrungen beim Berichten von der Front schilderte. Gefragt nach den Fortschritten bei den Friedensverhandlungen in Berlin, sagte Selenskyj: „Wir brauchen starke Sicherheitsgarantien. Das hängt nicht allein von Russland ab und nicht vom Präsidenten der USA.“ Auch die Europäer müssten mitziehen.
Selenskyj wollte Stärke und Autonomie zeigen, aber Donald Trump merklich nicht verärgern. Die Amerikaner seien Vermittler, sie bemühten sich, Kompromisse anzubieten. Dank der USA sei „schon vieles ausgearbeitet“ worden, aber es gebe noch territoriale Fragen, „sehr schmerzhafte“, wie Selenskyj sagte. Das Gespräch, das am Ende des Jahresrückblicks lief, drehte sich auch um die Frage, ob der bei Trump nicht eben beliebte Präsident weitermachen werde.
Wahlen wolle er nicht verhindern, sagte Selenskyj. Für eine Abstimmung während laufender Kampfhandlungen müsse man aber das Gesetz ändern. Wenn Wahlen im Krieg stattfänden, werde er das Volk nicht im Stich lassen. Nach dem Krieg sei er sich nicht sicher, ob er antreten würde, so Selenskyj. Für Wahlen ohne Frieden müsste es einen Waffenstillstand geben, sagte Naber – eine funktionierende Kampfpause sei angesichts der russischen Blockadehaltung im Moment aber unwahrscheinlich.
Richtig und falsch durcheinander?
Lanz hatte seine Sendung mit einem Blick auf die Krisen des Jahres begonnen. Was passiere, „wenn wir den Kompass verlieren?“, fragte er zu Anfang. Das Jahr 2025 habe „reihenweise alte Gewissheiten abgeräumt“. Etwas kryptisch unkte der Moderator, dass nicht mehr so klar sei, was gut oder richtig sei und was nicht. Lanz erinnerte an den neuerlichen Regierungsantritt von Trump – dass der nicht gut gewesen sei, daran ließ er nicht viel Zweifel. Inspiration, so schlenkerte er sich jahresrückblicktypisch um die nächste Kurve, sei 2025 abseits der Politik entstanden, beim EM-Triumph im Basketball, mit einer 11-jährigen Abiturientin und mit der ersten deutschen Frau im All.
Lina Heider (Bildmitte) machte mit 11 Jahren ihr Abitur und studiert inzwischen. Rabea Rogge fliegt als erste deutsche Frau ins All.Markus HertrichIm Einspieler wurde es dann, nächste Kurve, wieder ernst. Dräuende Klavierklänge untermalten die stagnierende Wirtschaft, das abnehmende Vertrauen in die Politik, klamme Kommunen, SPD-Schmerz und AfD-Auftrieb in NRW. Der erste Auftritt im Studio sollte ein Hit sein, tief im Westen: Herbert Grönemeyer saß neben Sören Link, dem SPD-Oberbürgermeister von Duisburg, und Dennis Rehbein, dem christdemokratischen Amtskollegen aus Hagen.
Ein interessantes Volk seien die Deutschen eigentlich, meinte Grönemeyer aufmunternd gegen die Krisenstimmung, eigentlich sei man eine „kluge, humanistische Gesellschaft“, die immerhin in großer Zahl gegen die Rechten auf die Straße gehe. Nun müsse Deutschland nur erwachsen werden, prophezeite der Sänger, das Land habe eben „keinen Vater aus den USA, kein billiges Gas aus Russland“ mehr. Link sprach über Probleme mit armen Einwanderern, Rehbein über die mangelnde „gefühlte Sicherheit“ der Bürger, die man ernst nehmen müsse. Rehbein bekam Beifall für seinen Appell, stärker zu unterscheiden, „wer der Gesellschaft nutzt“ und wer nicht. Grönemeyer wiederum beklagte, dass mit dem „Volk“ nicht mehr gesprochen werde – Bundeskanzlerin Angela Merkel habe diesen Stil eingeführt, Olaf Scholz habe ihn fortgeführt. Es sei kein Wunder, dass Bürger „wütend“ seien. Link schloss sich ihm an und forderte, den linken und rechten Rändern das Wasser abzugraben.
Eigentore im Stadtbild
Rehbein kritisierte derweil seinen Kanzler in Sachen „Stadtbild“-Debatte: Die Probleme vor Ort seien vielschichtig und ließen sich nicht auf Einwanderung reduzieren. Ein satirischer Einspieler sollte die nächste Kurve einleiten, von der Kommunalpolitik nach Berlin, Vizekanzler Lars Klingbeil kam zum Einzelinterview. Klingbeil betonte wieder einmal, dass die allgemeine Lage komplexer und schwieriger sei als ein paar Jahre zuvor und als in seiner Jugend. Viele Lösungen bräuchten Zeit, nach acht Monaten könnten die Effekte etwa aus dem Sondervermögen noch nicht sichtbar sein. „Wie pleite sind wir wirklich?“, wollte Lanz wissen.
Klingbeil parierte etwas phrasenhaft, dass über Jahre wichtige Strukturreformen nicht angegangen worden seien. Doch das Land sei nicht am Abgrund. Allerdings: „Jeder wird spüren, dass wir sparen.“ Er kündigte an, dass es irgendwann ein konkretes, „gerechtes Gesamtpaket“ dazu geben werde. Als Lanz wissen wollte, ob es auf Steuererhöhungen hinauslaufe, gab der Finanzminister zurück, der Moderator habe wohl Angst vor höheren Steuern für Reiche. Ansonsten ließ Klingbeil sich natürlich auf nichts festnageln – das zwischen den Parteivorsitzenden auszuhandelnde Gesamtpaket wird wohl noch ein wenig auf sich warten lassen.
Trainer der Basketball-Europameister: Álex Mumbrú und Alan IbrahimagicMarkus HertrichBevor die Stimmung hinter der nächsten Kurve abfallen konnte, feierte ein Einspieler Rabea Rogges Raumfahrt, das Comeback der Britpop-Band Oasis und Leo XIV., den ersten US-Amerikaner an der Spitze der katholischen Kirche. Taylor Swift durfte natürlich auch nicht fehlen bei den positiven Highlights. Die Astronautin Rogge und die elf Jahre alte Abiturientin Lina Heider hoben dann auch als Studiogäste die Stimmung. Ein weiterer Höhepunkt war das Gespräch mit den Basketball-Europameistern. Dennis Schröder war aus Kalifornien zugeschaltet, Cheftrainer Álex Mumbrú und Co-Trainer Alan Ibrahimagic saßen im Studio.
Dann war es vorbei mit der guten Stimmung: Der alles dominierende Mann des Jahres wurde mit einem Film gewürdigt. Die Schlagzeilen aus Trumps zweiter Amtszeit würden für vier Jahre und hundert Kurven reichen, aber auch er ist erst seit einem knappen Jahr im Amt: Zölle, Razzien gegen Einwanderer, rhetorische Salven gegen Europa. Kommentieren sollte das alles Annalena Baerbock, Präsidentin der Generalversammlung der Vereinten Nationen, zugeschaltet aus New York. Nichts sei mehr normal bei den UN, die „unsere Lebensversicherung“ seien, sagte die ehemalige Außenministerin.
Den Aggressor Putin nicht belohnen
Doch Lanz kam tatsächlich erst einmal auf die angesichts Trumps ausfallende Rolltreppe zurück. Es müsse wohl der Sicherheitsmechanismus gewesen sein, meinte Baerbock. Doch allein, dass man sich damit so breit befasst habe, zeige umso mehr, dass nichts mehr normal sei. Zum Glück stellte der Moderator dann doch noch eine Frage mit Substanz: Was passiert, wenn die USA unter Trump nicht mehr mitmachen wollten beim Multilateralismus? Immerhin habe Trump die Friedensbemühungen in Israel und Gaza nicht ganz an den Vereinten Nationen vorbei angestoßen – nach wie vor arbeiteten die USA mit anderen Staaten zusammen, weil sie es müssten, gab Baerbock zu bedenken.
In Sachen Ukraine fand sie klare Worte: Es könne nicht sein, dass man dem Aggressor nachgebe. Es sei an Russland, das diesen Krieg begonnen hat, ihn zu beenden. Auch im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern müsse man an der Zweistaatenlösung festhalten. Der nächste Film warf einen näheren Blick auf den Gaza-Krieg, bevor Lanz mit Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann sprach. Sie bringen Schüler zusammen, um über den Konflikt zu reden, mit einer Zelt-Schule in Gaza wollen sie Kindern eine Chance geben. Das Leid in den Zeltstädten dort spitze sich gerade zu, weil sie nach dem ersten Wintersturm unter Wasser stehen, sagte Hassoun.
Die Debatte um sie beherrschte tagelang die Schlagzeilen: Frauke Brosius-GersdorfMarkus HertrichHoffmann sprach von „apokalyptischen Zuständen“. Er kritisierte, dass die israelische Gesellschaft Palästinenser pauschal als Extremisten und Terroristen abstempele – zum Teil begegne ihm diese extreme Ablehnung auch in der eigenen Familie in Israel. Es sei keine Relativierung des Massakers an Israelis am 7. Oktober 2023, die Einhaltung der Menschenrechte für alle einzufordern. Auch die deutsche Regierung müsse das tun.
Danach half nur ein harter Schnitt in die nächste Kurve, wie das bei Jahresrückblicken nun mal so ist. Nach der traditionellen Würdigung der prominenten Sterbefälle des Jahres kam Lanz wieder zur Innenpolitik. Sein nächster Gast war Frauke Brosius-Gersdorf, deren Berufung an das Bundesverfassungsgericht an einer Kampagne gescheitert war, bei der ihr vermeintlich extreme Positionen zum Thema Schwangerschaftsabbruch vorgeworfen worden waren. Brosius-Gersdorf verbarg nicht, wie gern sie den Job gemacht hätte. Sie berichtete auch von einem späteren persönlichen Gespräch mit dem Unionsfraktionsvorsitzenden Jens Spahn, bei dem man sich über die Interpretation der Affäre auch nicht einig geworden sei.
Sie sei für wissenschaftliche Positionen politisch angegriffen worden, die unabhängige Rolle von Verfassungsrichtern sei oft falsch dargestellt worden, beharrte die Juristin. Spahn verteidige das Scheitern der Mehrheit in seiner Fraktion für die zuvor abgestimmte Kandidatur im Grunde noch immer. Lanz wünschte Brosius-Gersdorf eine ruhigere Weihnachtszeit und kam dann zur Ukraine und zu seinem Selenskyj-Interview. Das Gespräch hob die Relevanz des traditionellen Jahresrückblicks immerhin an – auch wenn die Schlagzeilen daraus schon wieder von gestern sein mochten.

vor 13 Stunden
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