Richard Swartz zum 80. Geburtstag: Liebevolle Legenden

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Wer Richard Swartz liest oder kennt, wird bestätigen: Dieser Mensch ist unfähig, langweilig zu sein. Noch wo er irrt, ist er interessanter als diejenigen, die vielleicht recht haben. Neulich war das wieder so, bei einem Abendessen in Zagreb, in der Wohnung, in der er mit Slavenka Drakulić lebt, der kroatischen Schriftstellerin. (Das Ehepaar lebt außerdem abwechselnd in Swartz’ Geburtsstadt Stockholm, in Wien und in einem Weiler in Istrien, der nicht genannt werden will, aber das ist ein anderes Thema).

Also, neulich in Zagreb. Bei Pasta und Pesto genovese mäandert das Gespräch irgendwann nach Rumänien. Ein Journalist, just zurück aus der Walachei, berichtet von den Windungen der Bukarester Politik und den falschen Wahrnehmungen, die dazu angeblich kursieren, bis sein Erzählfluss in eine rankesche Feststellung davon mündet, wie es eigentlich gewesen. Als der Gast fertig ist, fragt Swartz in einem ironischen Ton, den er sich nicht patentieren lassen muss, da ohnehin nur er ihn so beherrscht: „Dir ist aber schon klar, dass es in Wirklichkeit ganz anders war?“

Bier in Prag, Wespen in Hermannstadt, Stiefel in Schweden

Der Gast, noch trunken von seiner Erzählung, ins Bockshorn gejagt von der Begeisterung über die eigenen Recherchen, ist verblüfft. „Ganz anders? Wieso?“

„Weil in Rumänien immer alles anders ist, als Ausländer meinen.“ Es sei ein Irrglaube, dass Fremde Rumänien verstehen oder gar durchschauen könnten.

Derlei apodiktische Landesverklärung ist natürlich Unsinn. Warum sollte Rumänien unverständlicher sein als das Ruhrgebiet? Ob Kronstadt und Krefeld, Cluj-Napoca oder Castrop-Rauxel: Der Sünder schamvolles Gewimmel herrsche doch dort wie hier, so der Gast. Aber Swartz, unbeirrt, behauptet Rumäniens angebliche Unverständlichkeit so originell, dass ihm alle gerne folgen – wie immer, wenn er erzählt. Vom Biertrinken in Prag, von Wespen in Hermannstadt, von bibliophilen Stiefelfabrikanten in Schweden und hartnäckigen petersburgischen Teppichhändlern im Exil.

Sein Buch „Room Service“ überstrahlt alle anderen

In vielen dieser Geschichten spielt auch seine eigene Biographie eine Rolle, denn die bietet Stoff für mehr als ein Leben. Swartz stammt mütterlicherseits aus einer gut situierten Familie in Stockholm, wo er auch sein Studium begann, das er von 1970 bis 1972 an der Karls-Universität in der Hauptstadt der damaligen Tschechoslowakei fortsetzte. In seinem Buch „Austern in Prag. Leben nach dem Frühling“ hat er sich knapp ein halbes Jahrhundert später warmherzig, aber nicht verklärend daran erinnert. Nach seiner Rückkehr aus Prag wurde er Korrespondent des „Svenska Dagbladet“ für den Osten Europas, und er blieb das für fast vier Jahrzehnte. Seither schreibt er für verschiedene Publikationen.

Swartz hat etliche schöne Bücher geschrieben, aber eines überstrahlt sie alle, und das ist auch ein Verdienst von Hans Magnus Enzensberger. Der schätzte Swartz’ Reportagen aus der Mitte, dem Osten und dem Südosten Europas, und so bat er den Autor, ein Buch für die „Andere Bibliothek“ zu schreiben. Das Resultat war Band 142, „Room Service“, eine Sammlung von 18 grandiosen Geschichten, in denen Erlebtes und Gesehenes mit Erfundenem und Gehörtem verschmelzen. Das Buch entzieht sich einem Gattungsbegriff, doch die feine Ironie lässt sich mit Wolfgang Hildesheimers „Lieblosen Legenden“ vergleichen, obschon der journalistische Kern von „Room Service“ unverkennbar ist.

„Ein talentierter Reporter spart aus, um das Wesentliche sagen zu können, während der ideologische Reporter nichts auslässt aus Sorge, dass ihm jemand widerspricht“, schrieb Swartz einmal in einem Aufsatz über die journalistische Arbeit von Gabriel García Márquez. Darin forderte er den Mut des Reporters zum Irrtum. Dann erst könne sich in Texten jene Schönheit ergeben, „die nur entstehen kann, wenn nichts im Voraus festgelegt wird, wenn sich der Reporter trotz aller Vorbereitungen auf einen Irrtum einlässt, wenn er ins Schlingern gerät oder in einer Sackgasse endet – und bereit ist, dieses Scheitern offenzulegen“. So entstehen bei Swartz oft Texte, die das beeindruckende Gegenteil von Scheitern sind.

Am Sonntag wird Richard Swartz 80 Jahre alt. Möge dieser schwedische Schriftsteller, Journalist, Reisende und Geschichtensammler noch viel erzählen, in Texten und an Küchentischen in Zagrebs Altstadt, in der Wiener Liniengasse, an der Ostsee oder in einem is­trischen Dorf auf einer Anhöhe, von der aus man die ganze Welt sehen kann. Wenn man so sehen kann wie Richard Swartz.

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