Regierungsgipfel in Helsinki: Russlands östliche Nachbarn warnen den Rest von Europa

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Direkt im Anschluss an die Berliner Ukraine-Gespräche und während europaweit fieberhaft darum gerungen wird, was nun mit den eingefrorenen russischen Vermögen geschehen soll, setzte der finnische Ministerpräsident Petteri Orpo noch mal einen kleinen Gipfel in die eh stark zerklüftete politische Landschaft dieser Tage: Er lud die Regierungschefs von Schweden, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Bulgarien und Rumänien nach Helsinki, all jene EU-Mitglieder also, die im Fall eines Konflikts mit Russland die Ostflanke von Nord- bis Südeuropa sichern müssten.

Das klingt recht martialisch, aber der Titel des Ganzen lautete tatsächlich Eastern Flank Summit, Ostflankengipfel. Wichtig dabei: Die acht Regierungschefs trafen sich nicht als Nato-, sondern als EU-Mitglieder, um, wie es Orpo nach dem Treffen ausdrückte, „zu überlegen, wie wir die Zusammenarbeit gegen die russische Bedrohung intensivieren könnten“.

Große EU-Länder wie Deutschland, Italien und Frankreich sind eher skeptisch

Im Oktober hatte der für Rüstung zuständige EU-Kommissar Andrius Kubilius einen „European Defense Dome“ für 2030 angekündigt, ein gemeinsames Rüstungs- und Verteidigungskonzept, das natürlich stark von den Plänen, Fähigkeiten und Standards abhängt, die die Nato für die Verteidigung Europas vorsieht, aber zugleich auf größere militärische Autarkie dringt. Eine der vier Säulen dieses Konzepts ist die sogenannte Eastern Flank Watch, zu der auch der letzthin diskutierte Drohnenwall gehört.

Große Mitgliedsländer wie Deutschland, Italien und Frankreich stehen dem Ganzen skeptisch gegenüber, sei es nun aus Angst davor, dass sich die EU-Kommission zu sehr in Rüstungsbelange einmischt, sei es aus eigenen Strategieplänen.

Orpos Ziel mit diesem kleinen Nebengipfel war es, die „Flaggschiffprojekte“ dieses Verteidigungskonzepts am Leben zu erhalten. Mithilfe großer EU-Fördermittel müssten die Grenzsicherheit, die Drohnenkooperation, die Luftverteidigung und der Ausbau der Bodentruppen verbessert werden.

Orpo fordert die anderen Mitgliedsländer zur Solidarität mit dem bedrohten Osten der Union auf

Orpo appellierte an den Solidaritätsgedanken der EU: So wie man in der Corona-Pandemie die Länder Südeuropas aus gemeinsamen Fonds unterstützt habe, müsse man jetzt den Osten der Union vor der Bedrohung durch Russland schützen. „Ganz Europa muss die Verantwortung für die Ostflanke übernehmen und sie dringend, entschlossen und mit Führungsstärke verteidigen“, formulierten die Länder in einer gemeinsamen Erklärung.

In der anschließenden Pressekonferenz erklärten der estnische Ministerpräsident Kristen Michal, seine lettische Amtskollegin Evika Silina und Ulf Kristersson aus Schweden nahezu übereinstimmend, dass Russland eine akute Bedrohung für Europa darstelle, weshalb insbesondere die militärische Ertüchtigung der östlichen Grenzstaaten dringend geboten sei. Michal mahnte, Europa müsse noch mehr für seine Verteidigung tun.

Estland wird vom kommenden Jahr an fünf Prozent des Bruttosozialprodukts für den Militärhaushalt ausgeben, Litauen sogar 5,38 Prozent. Der litauische Präsident Gitanas Nausėda betonte, Russland sei nichts an einer Beendigung des Krieges gelegen. Außerdem habe auch Russlands Verbündeter Belarus mittlerweile damit angefangen, Litauen mit hybriden Mitteln anzugreifen. In Richtung Brüssel forderte er, der nächste EU-Haushalt müsse die Verteidigungsbedürfnisse der einzelnen Länder berücksichtigen.

Schon voriges Jahr hatte der finnische Premier kurz vor Weihnachten zu einem kleinen Sondergipfel geladen

Der ebenfalls anwesende EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius wollte keine konkreten Zusagen geben, betonte aber mehrfach die große Bedeutung der Ostflanke. Er deutete außerdem an, dass es ein neues, gemeinsames Verteidigungsschuldenpaket geben werde.

Schon im vergangenen Jahr überraschte Orpo kurz vor Weihnachten mit einem kleinen EU-Sondergipfel. Während die meisten anderen Regierungschefs anfingen, daheim die Christbäume zu schmücken, lud er am 22. Dezember Ulf Kristersson, die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas, die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und deren griechischen Amtskollegen Kyriakos Mitsotakis ins nordfinnische Saariselkä. Der kleine Wintersportort liegt so weit im Norden, dass tatsächlich der Weihnachtsmann damals auf der Pressekonferenz vorbeischaute.

Vor allem aber liegt Saariselkä weit im Osten, nur 60 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Es ging Orpo bei diesem Treffen darum, Verbündete für seine strikte Grenzpolitik zu finden: Nachdem Russland wiederholt Migranten an die finnische Grenze geschafft hatte, schloss die Regierung in Helsinki kurz entschlossen alle Übergänge nach Russland und verabschiedete ein Abschiebegesetz, das es den Grenzbeamten seither ermöglicht, Asylsuchende sofort zurückzuschicken. „Wir haben mit den südlichen Mitgliedstaaten gemeinsam, dass wir sowohl unsere eigenen Außengrenzen als auch die der gesamten Europäischen Union sichern“, erklärte er.

Während damals aber nach dem Polargipfel alle nach Hause fuhren, kann man das Treffen in Helsinki als Aufwärmübung für den Donnerstag dieser Woche sehen. Dann kommen alle Regierungschefs in Brüssel zusammen, um über die Zukunft der EU-Verteidigung zu diskutieren.

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