Noah Dejanović, Student:
»Mein Name ist Noah Dejanović. Ich bin 22 Jahre alt und ich bin mit elf Jahren von meiner Mutter abgehauen, weil sie mich misshandelt und missbraucht hat. Es gab eine Situation, wo ich zum Beispiel von der Schule zurückgekommen bin und meine Mutter im Schlafzimmer gesehen habe. Die Tür stand offen und sie hat einen Porno auf ihrem Laptop geschaut.«
Noahs Eltern trennen sich, als er noch klein ist. Er wächst bei seiner Mutter auf, verbringt nur die Wochenenden beim Vater.
Noah Dejanović, Student:
»Und dann hat sie mich zu sich gerufen und hat mich gezwungen, diesen Porno mit ihr zu schauen und hat mich halt festgehalten und gewürgt. Ich habe versucht, mich zu befreien, und da hat sie gesagt, dass sie mir das Genick bricht. Bis ich ihr halt meine Ellenbogen in die Rippen geschlagen habe, mich befreit habe, sie angeschrien habe und dann in mein Zimmer gerannt bin.«
Die Schule ist für Noah ein »Safe space«, eine Art Schutzraum. Weil zu Hause seine gewalttätige Mutter auf ihn wartet, möchte er nach dem Unterricht nicht zurück. Noah verändert sich.
Noah Dejanović, Student:
»Ich hätte mir auf jeden Fall gewünscht, dass Lehrpersonen auf mich zugekommen wären und mich einfach angesprochen hätten und gesagt hätten: Noah, du wirkst irgendwie auf mich abwesend oder zurückgezogen in letzter Zeit, ich mache mir Sorgen. Ist irgendwas los?«
Heute setzt sich Noah Dejanović dafür ein, dass Lehrerinnen und Lehrer Anzeichen von Kindesmissbrauch besser erkennen. Denn die Zahlen sind alarmierend: Ein bis zwei Kinder pro Schulklasse erleben, statistisch gesehen, sexualisierte Gewalt. Das Innenministerium meldete für das vergangene Jahr 16.354 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern.
Alexander Dobrindt, Innenminister:
»Die Zahlen sind hoch, sehr hoch.«
Dabei tauchen viele Delikte gar nicht in der Kriminalstatistik auf, weil sie nie zur Anzeige gebracht werden.
Missbrauch und Misshandlung sind Tabuthemen, die im Lehramtsstudium bisher kaum Platz finden. Noah will das ändern, deshalb spricht er regelmäßig vor Studierenden. Wie heute an der Universität in Halle. Solche Seminare sind bisher keine Pflichtveranstaltungen, die Teilnahme ist freiwillig.
Noah Dejanović, Student:
»Ich erwarte und hoffe, dass ganz viele interessierte und engagierte Menschen kommen und dass sie heute etwas mitnehmen, und dass es eventuell auch einen Impuls an der Uni setzt, sich damit auseinanderzusetzen, wie man das Thema Kinderschutz in der Lehre implementieren könnte.«
Zusammen mit Katja Sturm vom Kinderschutzbund erklärt er angehenden Lehrern, wie sie Warnsignale bei ihren Schülerinnen und Schülern besser erkennen können.
Noah Dejanović, Student:
»Dadurch, dass bei mir die Täterin meine Mutter war, war auch die Hürde, mich gegenüber anderen Personen zu öffnen, unglaublich hoch. Ich glaube, das schaffen die meisten Kinder und Jugendlichen nicht. Vor allem, weil oft auch das Bewusstsein fehlt, dass das nicht in Ordnung ist, was einem passiert. Ich wusste auch nicht, was ist denn der Unterschied zwischen einem normalen Streit mit Eltern und fucking Misshandlungen?«
Für sein Engagement wurde Noah Dejanović, vom deutschen Hochschulverband zum Studenten des Jahres 2025 gewählt. Er will selbst Lehrer werden und hatte bereits zu Beginn seines Studiums festgestellt, dass das Thema Kinderschutz im Lehrplan keine Rolle spielt.
Katja Sturm, Kinderschutzbund:
»Mich ärgert das total, weil ich glaube, dass junge Menschen viel sicherer wären, wenn sie das schon im Studium erfahren würden und dann zum Beispiel in der Schule viel besser handeln können. Und außerdem hätten wir den Vorteil, wenn wir in der Universität bereits die Leute ausbilden, dass sie dann viel sicherer sind, wenn sie in die Arbeitswelt kommen.«
Signale, die Kinder aussenden, wenn sie Missbrauch ausgesetzt sind, können vielseitig sein: Sie können etwa aggressiv werden, sich selbst verletzen, plötzlich abmagern oder stark zunehmen. Kinder und Jugendliche brauchen ein aufmerksames Umfeld, das auf plötzliche Verhaltensänderungen reagiert.
Noah Dejanović, Student:
»Ich weiß bis heute noch, in dem Moment, als ich meinem Vater erzählt habe, was mit meiner Mutter passiert ist. Ich konnte das nur aufschreiben auf einem Zettel und dann auch vor Gericht auch nur gerade so heraus stammeln.«
Momentan hängt es vom Engagement der einzelnen Hochschulen ab, ob angehende Lehrerinnen und Lehrer geschult und sensibilisiert werden für das Thema.
Noah Dejanović, Student:
»Und dann bedanke mich schon mal sehr herzlich für eure Aufmerksamkeit.«
Saskia Siemonsen, Lehramtsstudentin:
»Ich bin im Studium mit dieser Art von Thema noch gar nicht konfrontiert worden irgendwie.«
Tarek Zimmermann, Lehramtsstudent:
»Jetzt hat man ja nur so einen Input bekommen erst mal, aber das muss man halt jetzt auf jeden Fall noch festigen.«
Julia Zeugner, Grundschullehrerin:
»Ich hätte auch tatsächlich hier mehr Lehrkräfte erwartet. Also in jeder Klasse haben Kinder solche Probleme, die hier dargestellt wurden.«
Ronja Mennert, Lehramtsstudentin:
»Ich finde es sehr stark von Noah persönlich, dass er diesen Weg sich traut in die Öffentlichkeit zu gehen und darüber zu sprechen. Weil ich mir vorstellen kann, dass es sehr schwierig ist.«
Und wie geht es Noah nach dem Vortrag?
Noah Dejanović, Student:
»Ich bin müde und erschöpft und ein bisschen aufgewühlt, aber eigentlich gut. Es war krass, es waren 250 Leute da, der Raum war totenstill. Und ich glaube, ganz viele hat einfach berührt und sie haben, glaube ich, gemerkt, dass das Thema im Studium auf jeden Fall zu kurz kommt und ganz direkt überlegt, wo kann man da dann Anknüpfungspunkte finden, um das im Studium zu implementieren.«
Noah Dejanović kann heute auch dank einer Therapie so offen darüber reden, was ihm als Kind angetan wurde. Er plant, weiterzumachen und in Zukunft noch viele Universitäten zu besuchen.
Noah Dejanović, Student:
»Die ganze Zeit Menschen, die ich noch nie gesehen habe, meine Geschichte zu erzählen, das ist anstrengend. Es lässt manche Wunden nicht einfach verheilen. Andererseits, diese Selbstwirksamkeit, im Sinne von: Ich trage irgendwie dazu bei, dass anderen Kindern und Jugendlichen so etwas nicht passiert oder dass ihnen früher geholfen wird, das ist ein unheimlich gutes Gefühl.«

vor 12 Stunden
2









English (US) ·