Der Gedanke, den eigenen Nachwuchs auf eine Kinder- oder Jugendreise zu schicken, liegt nahe. Stellt man die 13 Wochen Ferien der Schüler den sechs Urlaubswochen der Erwachsenen gegenüber, ist offensichtlich, dass in Vollzeit arbeitende Eltern eine Betreuung finden müssen. An der Herausforderung, ohne die Eltern zu verreisen, können junge Menschen wachsen.
Das Angebot ist vielfältig, von Klassenfahrten über Konfirmandenfreizeiten bis hin zu Sprach- und Partyreisen. Dass nicht jede Jugendreise eine designierte Partyreise ist, scheint sich beim Südwestrundfunk jedoch nicht herumgesprochen zu haben. Darauf deutet der Titel der Doku „Partyurlaub außer Kontrolle – wie sicher sind Jugendreisen?“, die in der Mediathek der ARD abrufbar ist, schon hin.
Das SWR-Format „Vollbild“ nimmt die Zuschauer per Handykamera einer Undercover-Reporterin mit, die als Betreuerin eingeschleust auf eine Partyreise nach Calella fährt, um dort Missstände aufzudecken. Schon vor Beginn der Reise setzt die Kritik ein. Mit der Aussage „Ihre einzige Vorbereitung: ein Erste-Hilfe-Kurs und ein zweitägiges Onlineseminar“ wird die Schulung der Reporterin vor ihrem Einsatz durch den Anbieter GO Jugendreisen als unzureichend gekennzeichnet.
Der Reiseanbieter betont auf Anfrage der F.A.Z., die Darstellung verschweige, dass die Reporterin ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen musste und in ihrer Bewerbung angab, Erfahrung aus der Jugendarbeit mitzubringen – als Au-pair und als Zeltlagerbetreuerin. Dass sie mit ihrer Vorerfahrung bei einer kurzfristigen Zusage vom Anbieter eine Online- statt eine persönliche Schulung bekam, was laut GO nur bei 11 Prozent der in diesem Jahr für sie tätigen Betreuer der Fall gewesen sei, erweckt beim SWR den Eindruck, unerfahrenes Personal werde auf Minderjährige losgelassen.
Der SWR kritisiert, dass die Betreuer kein Gehalt bekommen
Auf unsere Frage, ob die Angaben zur Arbeitserfahrung der Betreuerin wahrheitsgetreu seien, antwortete der SWR: „Es war der Redaktion aus Sorgfaltsgründen angesichts möglicherweise unzureichender Schulung durch den Reiseanbieter wichtig, dass eine Journalistin mit Vorerfahrungen den Selbstversuch macht.“ Dass das Rechercheteam davon ausgeht, die Schulung sei unzureichend, setzt den Ton für die Doku. Die Reporterin filmt Szenen aus dem Camp und von Partys mit dem Handy und führt ein Videotagebuch.
Für Christian Becker, Vorstandsmitglied des Reisenetz Fachverbands für Kinder- und Jugendreisen, ergibt sich daraus, wie er im Gespräch mit der F.A.Z. sagt, ein Zwiespalt: „Die junge Frau ist in der Zwickmühle, Betreuerin zu sein, aber gleichzeitig auch Missstände finden zu müssen.“ Das Einschleusen als Betreuerin sei ein „krasser Vorgang“ und „ethisch nicht verantwortlich“, meint er.
Party und Alkohol bei Jugendreisen: Nur ein Vorurteil?SWRNeben der vermeintlich unzureichenden Schulung notiert die SWR-Doku als kritischen Punkt, dass die Betreuer kein Gehalt bekommen. Die Reporterin habe nur eine Aufwandsentschädigung von elf Euro pro Tag erhalten. Die Tätigkeit sei ein Ehrenamt. Daraus wird geschlussfolgert, das sei nur für Menschen interessant, die selbst auf der Reise eine gute Zeit haben wollten. Das freilich ist kein wohlgehütetes Geheimnis, sondern eine gängige Praxis in der Branche.
Peter Schuto, tätig bei ruf Jugendreisen und Mitglied des Qualitätsausschusses im Reisenetz Fachverband, erklärt: „Es gibt keine Entlohnung bei Kinder- und Jugendreisen, weder im gewerblichen noch im gemeinnützigen Bereich. Die gab es nie. Der Betreuungsaufwand für die Kinder ist 24 Stunden pro Tag. Es würden unfassbar hohe Kosten anfallen, wenn man für die gesamte Betreuungszeit Mindestlohnvergütung zahlen würde. Dann gäbe es keine Jugendreisen mehr. Das könnte sich keiner mehr leisten.“
Alkoholkonsum ist im spanischen Jugendschutzgesetz anders geregelt
Dass Betreuer ihren eigenen Jahresurlaub verwenden, um auf Jugendreisen tätig zu sein, ist auch dem Anbieter GO bewusst. In einer Stellungnahme für die F.A.Z. berichtet GO von „langjährigen“ Betreuern und Betreuerinnen, „die seit über zehn Jahren regelmäßig für uns im Einsatz sind – darunter Personen mit renommierten Jobs in Personalagenturen, Selbständige oder Mitarbeitende in großen Konzernen. Ja, sie nutzen diese Zeit als ihren Urlaub und ermöglichen dabei Tausenden Jugendlichen – bei uns und anderen Veranstaltern – die beste Zeit ihres Lebens.“
Als die Doku auf einen validen Kritikpunkt stößt – dass GO in Spanien, wo Alkohol für Minderjährige verboten ist, sich an Regelungen des deutschen und nicht des spanischen Jugendschutzes hält – wird dieser schnell fallen gelassen. Peter Schuto, dessen Unternehmen ebenfalls Partyreisen nach Calella anbietet, sagt, es gehöre dazu, dass Jugendliche versuchten, Regeln zu umgehen und Grenzen auszuloten.
Dass Jugendliche auf Partyreisen Party machen und Alkohol trinken, dürfte wohl niemanden überraschen. Vertritt ein Reiseanbieter aber einen pädagogischen Anspruch, kann man ihm durchaus den Vorwurf machen, er verpasse es, den Jugendlichen zu vermitteln, dass andernorts andere Regeln als zu Hause gelten. Was in diesem Fall bedeutet, dass die lockeren Regelungen zum Alkoholkonsum Minderjähriger, wie es sie in Deutschland gibt, im internationalen Vergleich eher die Ausnahme sind.
Das in Deutschland erlaubte „begleitete Trinken“, das Jugendlichen ab 14 erlaubt, unter Aufsicht eines Erziehungsberechtigten alkoholische Getränke wie Bier oder Wein zu konsumieren – und das auch in der Öffentlichkeit –, stand schon unter der Ampelregierung in der Kritik. Zuletzt forderte der Bundesrat die Bundesregierung auf, das „begleitete Trinken“ abzuschaffen.
Der „Selbstversuch“ bringt keine Beweise
Der letzte Paukenschlag der SWR-Doku ist der Hinweis auf das Fehlen einer gesetzlichen Vorschrift zu Schutzkonzepten bei Jugendreisen. Dass die Bundesregierung hier Handlungsbedarf sieht, ist nicht neu, auch der SWR betont, dass eine solche Regelung im Koalitionsvertrag von SPD und Union stehe. Die Doku greift Erfahrungsberichte von Teilnehmerinnen auf, die von sexuellen Übergriffen bis hin zu einer Vergewaltigung berichten. Die Opfer bleiben richtigerweise anonym – leider jedoch auch die Anbieter, auf deren Reisen sich die Vorfälle zugetragen haben sollen.
In einem begleitenden Artikel auf seiner Website stellt der SWR selbst fest, dass die Reporterin im Selbstversuch ein funktionierendes Schutzkonzept vorgefunden habe. Dort heißt es: „Während der verdeckten Recherche bei der Partyreise von ‚GO Jugendreisen‘ in Calella verhinderte das Schutzkonzept des Reiseveranstalters offenbar mögliche Übergriffe.“
Die Anbieter weisen die Vorwürfe zurück
Christian Becker erklärt, dass es unter den Mitgliedern des Reisenetz Fachverbands, der ein breites Spektrum kommerzieller sowie gemeinnütziger Anbieter versammelt, bereits interne Verpflichtungen zu Schutzkonzepten gibt. Dass sich kein männlicher Betreuer allein mit einem Teilnehmer oder einer Teilnehmerin in einem Raum befinden darf, sei eine Standardregel.
Peter Schuto vermerkt, dass die Doku kommerzielle Jugendreisen generell in ein schlechtes Licht rücke: „Wir wehren uns dagegen, dass Unternehmertum so ein Negativmerkmal sein soll. Das konzentriert sich ja alles auf das Wort ‚profitorientiert‘. Alle Mitglieder müssen dafür sorgen, dass sie langfristig erfolgreich sind. Und wir reinvestieren auch, beispielsweise in höhere Personalschlüssel.“
Becker, der im Lauf seiner Karriere sowohl im gemeinnützigen als auch im kommerziellen Jugendreisebereich tätig war, ergänzt: „Die großen Probleme von Missbrauch sind ganz sicher nicht auf der Seite der gewerblichen Anbieter gewesen.“
Der Fehlschluss, den man aus der zusammengestückelten „Vollbild“-Doku des SWR ziehen könnte, lautet, man könne seinen Kindern Sicherheit schaffen, wenn man sie bloß nicht auf eine Jugendreise schickt.

vor 2 Tage
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