„Queen of Fucking Everything“: Mit Sisu siegen lernen

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Finnland ist für Nichtfinnen ein Rätsel. Das geht schon los mit der Sprache, die auf Nachfahren des Indoeuropäischen so wirkt, als habe man beim Scrabble unmögliche Buchstaben gezogen. Dann steht dieses Land seit Jahren zuverlässig an der Spitze des World Happiness Reports, aber hierzulande hat man oft die melancholisch-absurden, fast pseudosowjetischen Filme Aki Kaurismäkis vor Augen, in denen gesellschaftliche Verlierer oder wortkarge Proletarier Wagenladungen an Alkohol und Tabak konsumieren (auch wenn Kaurismäki seit Jahren immer romantischer wird).

Die herrlich selbstgewisse und lebensnah komische Serie „Queen of Fucking Everything“ von Tiina Lymi hat mit der properen Lebenszufriedenheit des Glücksrankings indes so wenig zu schaffen wie mit dem Fatalismus eines schöngetrunkenen Untergangs, dafür aber eine Menge mit dem seit einem Jahrhundert zur finnischen Nationaltugend stilisierten Sisu, das für eisernes Durchhaltevermögen steht.

Ihr Ehemann ist gar nicht auf Dienstreise

Innere Stärke braucht die Heldin Linda (Laura Malmivaara) in der Tat, denn obwohl sie nicht per se zum prekären Kaurismäki-Milieu gehört – sie arbeitet als Immobilienmaklerin im Luxussegment –, stürzt sie gleich zu Beginn so tief, dass ein Wiederaufrichten nicht garantiert ist. Es stellt sich nämlich heraus, dass ihr Ehemann Mikael gar nicht auf Geschäftsreise ist, sondern auf und davon. Hinterlassen hat er eine Insolvenz und drei Millionen Euro Schulden, für die Linda aus liebesblinder Naivität gebürgt hatte. Die gesamte Wohnungseinrichtung wird gepfändet; sie rettet nur einen Mixer, der noch allerhand zu mixen haben wird, auch Körperteile.

An die edle Wohnung selbst kommt die Bank vorerst nicht heran, denn die gehört nach wie vor Lindas dementer, aber immer noch lieblos herrischer Mutter Kristiina (Marja Packalén), mit der die enttäuschte Tochter längst gebrochen hatte. In ihrer Not besucht sie nun die Mutter im Heim, klaut ihr etwas Schmuck, ändert sogar die Patientenverfügung: An lebensverlängernden Geräten könnte es in Kürze liegen, ob Linda noch ein Dach über dem Kopf hat.

Der Sozialarbeiter Heikki (Tommi Eronen) redet Linda (Laura Malmivaara) ins Gewissen. Beeindruckt ist sie nicht.Der Sozialarbeiter Heikki (Tommi Eronen) redet Linda (Laura Malmivaara) ins Gewissen. Beeindruckt ist sie nicht.ZDF/Jaakko Kahilaniemi

Der Vertrauensbruch durch den Ehemann ist groß, aber die Scham ist größer: Linda geht mit der Bank einen Deal ein und verheimlicht in der Immobilienagentur ihre Situation. Ihr Patenonkel (Kari Heiskanen), ein erfolgreicher Jurist, ist keine Hilfe, hat nur einen billigen Vorwurf zu bieten: „Du hat einen Master in Wirtschaftswissenschaften. Was hast du dir bloß dabei gedacht, Kind?“ Auf dem Sozialamt wird sie ausgelacht, als sie High Heels für tausend Euro als Arbeitsschuhe erstattet haben möchte. Eine Spur übersteigert wirkt es, dass sich Linda bald mit einem zu ihrer Nemesis werdenden Obdachlosen (Juho Milonoff) um Pfanddosen prügelt. Doch die bitter-komischen Verrenkungen, einen Topklasse-Lebensstil aufrechtzuerhalten, während man jeden Euro umdrehen muss, sind nur der Beginn einer Verwandlung in eine neue Linda, die eigentlich die alte ist, allerdings jetzt ohne jede Naivität oder Rücksicht.

Mit dem mafiösen Draufgänger ins Bett

Zunächst stiehlt sie sich ihren Lebensunterhalt zusammen und leiht sich ein wenig Geld bei ihrer Jugendfreundin Marke (Katja Küttner). Die ist ein verrückter Vogel, lebt am anderen Ende der Gesellschaft und verkehrt in ihrer barbiemäßig eingerichteten Wohnung mit halb kriminellen, aber knuffigen Subjekten. Lindas Weg führt über den Drogenhandel zurück ins Immobiliengeschäft, nun in der schmutzigsten Variante. Dabei erobert sie ein paar Herzen. Eines davon gehört dem mafiösen Draufgänger Börje (Kristo Salminen), mit dem Linda zwar immer wieder ins Bett steigt, ohne aber viel auf sein Liebesgewinsel zu geben. Den sensiblen Langzeitstudenten Heikki (Tommi Eronen) verschmäht sie auch nicht, wenngleich ihr seine Lauterkeit manchmal auf die Nerven geht. Geschildert wird das alles mit viel Sinn für schwarzen Humor.

Es ist der „Breaking Bad“-Erzählbogen, aber in einer feministischen Version, und das sorgt für den entscheidenden Kick. Linda, das gebrannte Kind, bedient sich der Männer um sie herum für ihren Weg nach oben. Sie trinkt und raucht wie bei Kaurismäki, aber sprüht dabei vor Energie, gründet ein Strohmann-Unternehmen und wird zur Queen des Dealmaking. Ohne Schuldverstrickung geht das nicht ab. Laura Malmivaara gelingt das Kunststück, diese resolute Frau in ihren Fünfzigern, die bald auch leutselige Bürger betrügt und wirklich unsympathische Dinge tut, so ergreifend und authentisch zu spielen, dass man ihr gänzlich zugeneigt bleibt, während sie mächtige Männer mit deren eigenen Methoden schlägt und für sich einspannt. Mit dem eigenen Gewissen, an das der Obdachlose permanent appelliert, und mit diversen Frauen (der Mutter, der Freundin) hat sie sich zu arrangieren. Auch hier versucht sie es immer wieder mit der Option Angriff, verpasst etwa der Mutter – so böse wie lustig – einen Mao-Haarschnitt.

Die vom ZDF koproduzierte Serie ist Teil des ersten Durchlaufs der europäischen New-8-Initiative, für die sich acht öffentlich-rechtliche Sender zusammengeschlossen haben. Wie schon die Serien „Die Affäre Cum-Ex“, „Elixir“ oder „Push“ zeigt auch „Queen of Fucking Everything“, was für eine großartige Idee diese Initiative ist. Man sieht: Wenn Europa seine Stärken auf dem Film- und Serienmarkt gemeinsam ausspielt, kann es mit jedem anderem Produktionsstandort mithalten. Und zugleich lernt man in diesen europaweit ausgestrahlten Serien noch einiges über den eigenen Kontinent, hier also über Finnland, wo einem das Glück oft eben doch nicht geschenkt wird. Man muss es schon bei den Hörnern packen.

Queen of Fucking Everything ist ab Freitag im ZDF-Streamingportal abrufbar.

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