Semperoper: „Schneekönigin“: Das Rentier singt Bass

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Gläsern reflektierende Klänge, die aus der Stille aufblitzen und sich in ihr lösen: funkelnd, lockend, dabei zart und extrem berührungsempfindlich. Als herabrieselnder Flockenvorhang, tonlos eigentlich und erst in unserem Bewusstsein in eine weiß flimmernde Klangaura gehüllt, beginnt Hans Abrahamsens Oper von Gerda, Kay und ihrer Begegnung mit der Schneekönigin.

Wie Titus Engel das mit der Dresdner Staatskapelle in den Raum tupfte – fürsorglich behütend, der Kostbarkeit jeder Schwingung nachhörend –, wurde dieses Zu-sich-selbst- und gleichzeitig In-uns-Hineinkommen der Musik elementar fassbar: Als Zuhörende sind wir auch Zu-Gehörende und Rückmeldende. An diesem Abend, der so gar nichts theatralisch-Repräsentatives hatte, herrschte eine seltene Intimität zwischen den fast durchweg hervorragenden Interpreten, die sich selbst und dem Publikum vertrauten, weil sie ihrerseits den durch sie vermittelten Klängen vertrauen konnten, und Besuchern, die sich dem offen zeigen und es erwidern durften. Das waren leise Vorgänge, ausgedrückt unter anderem durch den Verzicht auf Beifallsbekundungen auch bei längeren Spielpausen; solcher Spiegelungen, die oft genug nur Selbstbespiegelungen sind, bedurfte es hier nicht.

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Abrahamsen liebt den Winter und seine vom bunten Flitterkram abstrahierende Kargheit, schrieb schon etliche einschlägige Stücke, lässt Shakespeares Ophelia in seinem Monologstück „Let me tell you“ am Ende nicht unter Wasser, sondern in einer Eiswüste verschwinden und hat auch sein bisher einziges Musikbühnenstück, „The Snow Queen“ nach Hans Christian Andersens Märchen, in diesem Spannungsfeld zwischen verführerischer Reinheit und existenzbedrohender Erstarrung angesiedelt. Nach der dänischen Uraufführung in Kopenhagen folgte eine englische Fassung an Münchens Staatsoper, die nun auch in Dresden Verwendung fand.

Nichts in Abrahamsens kristallinen, manchmal wie vom Stroboskop durchblitzten Klangflächen ist technisch einfach, aber alles scheint, ganz aus atmosphärischen Stimmungswerten gebaut, folgerichtig fließend. Engel und die Musiker erreichten Lockerkeit, ja Entgrenzung vor allem durch eine Noblesse der dynamischen Formung, die auch im Vollklang transparent blieb und auf der Gegenseite in oft hauchzarten, aber nie schwächlichen Pianissimi entschwebte: eine souveräne, sich ihrer selbst gewisse Leistung.

Der große Wagner-Bass Georg Zeppenfeld singt die Schneekönigin

Vokal trägt dieser metall- und diamantkühle, über bedrohliche Tiefen gespannte Klanggrund vorwiegend rezitativische Gestaltungen, die nicht allein rhetorisch durchdeklamiert, sondern aus nachhörbarer innerer Bewegung entstehen müssen. Mit Valerie Eickhoffs Kay und der Gerda von Louise McClelland Jacobsen stand ein dafür perfektes Paar auf der Semper­opernbühne, glaubhaft in seiner anfangs noch kindlich neckenden, körperlich wie seelisch zartgestalteten Unsicherheit wie im späteren Erblühen von Liebe und Verantwortung.

Vor allem die Sopranistin, ohne den im Schneeland abhandengekommenen Partner lange allein schwersten Prüfungen ausgesetzt, erreichte in ihrem tapferen Ringen eine anrührend innige, existenzielle Dringlichkeit. Christa Mayer verkörperte in ruhig glimmender Wärme die alten weisen Frauen des Stückes, Simeon Esper gab der Leitfigur einer grotesken, munter-zudringlichen Krähenschar markantes, auch stimmlich durchdringendes Profil; und während Kays Mezzo-Besetzung gleichsam eine Hänsel- und-Gretel-Konstellation formiert (tatsächlich singen beide Protagonistinnen auch in der Humperdinck-Inszenierung des Hauses mit), wirkte die der Schneekönigin mit Georg Zeppenfelds profundem Bass zwar noch weit ungewöhnlicher, aber schließlich nicht einmal unorganisch – greift doch schon Andersens Vorlage in surrealistisch verfremdete Sphären aus.

Nicht minder beeindruckend war Zeppenfeld als fürsorgliches Rentier – und spielte so indirekt bis zum Schluss weiter mit, weil ein kleines Plüsch-Rentier das junge Paar bis ins Hochzeits-Vorfeld begleitete, während alle anderen Spielzeuge verschwunden waren: Erinnerung an die zurückgelassene Kindheit, aber auch an die während der Prüfungen erfahrene Solidarität durch Natur- und Himmelsmächte. Der in manchmal hakeliger Polyphonie geforderte, von Jonathan Becker einstudierte Chor und das Ballettcorps (Fabian Posca) fügten sich dabei bruchlos in Immo Karamans strenge Inszenierung mit ihrem wohltuend geradlinigen, auf wenige symbolische Bildelemente (Schrank, ein großes, aber abweisend hoch angesetztes Fenster – oder eben das kleine Rentier) konzentrierten Purismus ein.

Einander umkreisende Körper, aber kaum Berührungen: Da sprach eine bei aller Luzidität spröde Distanz, ja Todesnähe, die selbst die singenden Blumen ins Zwielichtige entrückte und sich auch in kühlen Video-Flockenwirbeln, Nicola Reicherts gedämpfttonigen, durch markante Accessoires gekennzeichneten Kostümen und vor allem Arne Walthers Bühnenbildern zeigte: Räumen zwischen Beige, Oliv und Anthrazit, deren Holzschindelwände eher Isolation als hygge­lige Gemütlichkeit verbreiteten, um schließlich im Eispalast zu verschreckend kahlen, wie Spiegelkabinette ins Unendliche geweiteten Bunker- und Tunnelkonstruktionen zu mutieren.

Gerade nach solch dämonischen Unterwelt-Wanderungen, bewältigt durch den Todesmut des Mädchens, brauchte auch die finale Hoffnung auf einen glücklichen Sommer keine üppigen Blumenkränze, sondern konnte in ihrer asketischen Bilderwelt verbleiben; doch ging man danach vielleicht skeptisch, aber auch unter der möglichen Anwandlung in die Adventsnacht, unbedingt und unverzüglich selbst Menschheitsdienliches zu leisten – und mehr kann man von zwei Opernstunden kaum verlangen.

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