Iranische Friedensnobelpreisträgerin: Ihre 14. Festnahme

vor 19 Stunden 3

Als sie frei war, so frei, wie es in Iran eben geht, also nicht im Gefängnis, da konnte man ihr SMS schreiben. Und Narges Mohammadi antwortete, schrieb von einer „erstickenden Atmosphäre“ in ihrem Land. Anfang des Jahres war das, da war sie gerade aus der Haft entlassen worden und lebte wieder in ihrer Teheraner Wohnung.

Sie, die Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 2023, wusste, dass das Regime der Islamischen Republik sie jederzeit wieder inhaftieren lassen konnte. 13-mal war das der 53-Jährigen schon geschehen, wegen ihres Aktivismus gegen die Todesstrafe und für Menschenrechte in Iran. Der Gedanke, zu schweigen, sich unauffällig zu verhalten nach ihrer Haftentlassung, er kam ihr offenbar nie. Einmal nahm sie sogar an einer Demo vor dem Evin-Gefängnis teil, dem Gefängnis, in dem sie kurz vorher noch selbst eingesessen hatte.

„Sie macht einfach“, sagte eine deutsche Freundin über sie damals, „was sie will“.

Am vergangenen Freitag dann geschah, was wohl nur eine Frage der Zeit war: Narges Mohammadi wurde wieder festgenommen, zum 14. Mal. An dem Tag sprach sie in Maschhad, im äußersten Nordosten von Iran, bei einer Trauerveranstaltung. Eine Woche vorher war dort ein Rechtsanwalt, Khosrow Alikordi, tot aufgefunden worden. Ein Herzinfarkt, behauptet das Regime.

:Der mysteriöse Mullah

Über Ali Chamenei, Irans Obersten Führer, weiß man wenig, auch wenn er seit 1989 regiert. Jetzt ist eine erste Biografie in deutscher Sprache erschienen. Über den Protagonisten erfährt man darin nicht viel Neues, dafür aber Details aus der Geschichte der Islamischen Republik.

Viele, auch Alikordis Familie, zweifeln daran. Die Familie berichtet von Spuren eines Schlages am Kopf des Toten, er habe aus Mund und Nase geblutet. Alikordi war ein Anwalt, der viele Gegner des Regimes verteidigte, auch Teilnehmer der „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste vor drei Jahren. Wie Narges Mohammadi setzte er sich gegen die Todesstrafe ein.

Die Veranstaltung eine Woche nach seinem Tod hatte das Regime genehmigt. Dass die Polizei dann nicht nur Mohammadi festnahm, sondern auch 38 weitere Menschen, habe an den „provokativen Äußerungen“ gelegen, so sagte es später ein lokaler Staatsanwalt. Mohammadi und andere Aktivisten hätten „die Anwesenden ermutigt, gegen die Norm verstoßende Parolen zu rufen“.

Was sie riefen, sprach der Ankläger nicht aus. Auf Videos ist es zu hören, vor allem der eine Satz: „Tod dem Diktator“. Andere Teilnehmer riefen auch nach einer Rückkehr des 1979 gestürzten Schah-Regimes. Manche buhten Mohammadi während deren Rede aus, weil sie sich nicht nur gegen die aktuelle Diktatur stellt, sondern auch gegen die alte, also jene des Schahs.

Als die Polizei sie abführte, so sagte Mohammadis Bruder der Agentur AFP, hätten die Beamten ihr gegen die Beine geschlagen und sie an den Haaren gezogen. Er mache sich Sorgen um sie, sagte er, immerhin war seine Schwester nur wegen ihrer gesundheitlichen Probleme aus der Haft im Evin-Gefängnis entlassen worden. Mohammadi hatte dort einen Bandscheibenvorfall erlitten, außerdem sollen Wärter auf sie eingeprügelt haben, wobei sie das Bewusstsein verlor.

Seit Freitag nun ist sie verstummt, fürs Erste, die anderen Festgenommenen ebenso. Die Ermittlungen dauerten an, sagt der Staatsanwalt. Über das Schicksal der Friedensnobelpreisträgerin dürfte eher in höheren Etagen in Teheran entschieden werden, die Islamische Republik weiß, dass der Umgang mit Narges Mohammadi immer Aufsehen erregt, in Iran selbst wie im Ausland. Das deutsche Auswärtige Amt hat bereits gegen ihre Festnahme protestiert.

Dass die Dissidentin ein Jahr lang nicht wieder in Haft kam, war als Signal gedacht. Die eigenen Bürgerinnen und Bürger und die Welt sollten sehen, dass das Regime etwas mehr Freiheit gestattet. Die iranischen Frauen können heute zumindest in den Städten unverhüllt auf die Straße gehen, ohne dass die Behörden etwas dagegen unternehmen. Ein Erfolg der Proteste, ein Erfolg des Mutes einer neuen Generation, gegen den das Regime nicht mehr ankommt.

Andererseits zeigt es auch, warum sich die Islamische Republik seit fast einem halben Jahrhundert an der Macht hält. Die Männer an ihrer Spitze schlagen mal Proteste nieder, indem sie den Menschen gezielt in die Augen schießen, damit diese erblinden. Nachher, wenn die Proteste abgeklungen sind, erlauben sie offenes Haar in der Öffentlichkeit und Partys im Privaten, geben den Menschen etwas Luft. Während das System dasselbe bleibt.

Politisch ist Iran heute ebenso repressiv wie seit Jahren, gerade seit Juni, seit dem Krieg gegen Israel. Die Justiz tötet jede Woche: Über 1000 Hinrichtungen waren es 2025 allein bis Ende September, meldete Amnesty International. Es sind die Hinrichtungen, gegen die Narges Mohammadi seit Jahrzehnten kämpft.

Nun ist sie selbst wieder in den Händen des iranischen Justizapparats. Vor einigen Monaten, als sie noch bei sich zu Hause lebte und SMS schreiben konnte, da wollte sie sich verabreden – für die Zukunft, wann auch immer die anfängt. „Ich hoffe“, schrieb sie, „wir sehen uns in einem freien Iran.“

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