Einen ganzen Strauß an Prognosen zur Künstlichen Intelligenz hat Gartner auf seinem jüngsten Symposium in Barcelona vorgestellt. Gartner-Analyst Gene Alvarez unterstrich die Bedeutung der erwarteten Herausforderungen: „Die IT-Führungskräfte stehen vor einem entscheidenden Jahr, in dem sich gravierende Umbrüche, Innovationen und Risiken in beispielloser Geschwindigkeit ausbreiten werden.“
In der zentralen Präsentation wurde an erster Stelle betont, dass bis 2027 „bei 75 Prozent aller Einstellungen Zertifizierungen und Tests zur KI-Kompetenz verlangt werden.“ Diese neuen Fähigkeiten zu erwerben sei Gartner-Analyst Leigh McMullen zufolge jedoch nicht so einfach, denn „die klassischen Bildungseinrichtungen hinken dem Bedarf deutlich hinterher“.
Die zweite Prognose basiert auf einer viel beachteten Studie von Microsoft: „KI macht Denkfaul!“, heißt es kurz und knapp. Gemeint ist damit, dass innerhalb des nächsten Jahres der Verfall kritischer Denkfähigkeiten aufgrund des Einsatzes von GenAI viele Unternehmen dazu veranlassen wird, „KI-freie“ Kompetenzbewertungen einzuführen. „Wenn wir KI wie einen Zauberer nutzen, kann es uns zehn Jahre zurückwerfen“, lautet die Warnung von Gartner.
Die neuen Abhängigkeiten
In der dritten Vorhersage ging es um die digitale Souveränität. Laut Gartner werden bis 2027 über ein Drittel aller Länder regionale KI-Plattformen mit proprietären Kontextdaten einsetzen. Das klingt nach nationaler Souveränität, läuft aber laut Gartner faktisch auf eine neue Abhängigkeit hinaus. „Wer die Kontextdaten kontrolliert, kontrolliert die Wertschöpfung“, ist das Fazit der Marktforscher.
Was die neuen KI-Agenten angeht, meint Gartner, dass bis 2028 80 Prozent aller kundenorientierten Prozesse von Multiagentensystemen ausgeführt werden. Die Begründung ist plausibel: Agentensysteme absorbieren Routine, und Routine ist der größte Kosten- und Frustrationsblock. Und so wird der Einsatz von KI-Agenten rasant zunehmen. „2028 werden 90 Prozent aller B2B-Käufe über KI-Agenten abgewickelt“, so die bemerkenswerte Prognose. Das bedeutet: Produkte müssen maschinenlesbar werden, sonst existieren sie für die KI-Agenten nicht.
Todesfälle werden Haftungsfälle
Dass KI auch gefährlich sein kann, ist bekannt. Gartner prognostiziert, dass bis 2028 mehr als 2.000 Klagen wegen Tod durch KI aufkommen werden. Der Grund: „Viele autonome Systeme, die ohne robuste Sicherheitslogik handeln, erzeugen zwangsläufig Haftungsfälle.“ Die häufig fehlende Transparenz ist also keine philosophische Frage mehr, sondern fällt in die Kategorie Forensik und Schadenregulierung.
Eine besonders steile These lautet: „Bis 2030 werden 20 Prozent aller Geld-Transaktionen programmierbar sein.“ Das bedeutet: Geld transportiert auch Regeln und Vorgaben und damit werden Geld-Transaktionen kontextsensitiv und die KI-Agenten erhalten eine wirtschaftliche Handlungsmacht.
Die nächste Prognose besagt, dass bis 2027 die Kosten-Nutzen-Lücke bei prozessorientierten Dienstleistungsverträgen durch die Neuentwicklung von KI-Agenten um mindestens 50 Prozent reduziert werden kann. Schon jetzt erkennen KI-Agenten implizites Wissen, was zu neuen Assets führt. Beispielsweise eine kontinuierliche, innovationsbasierte Preisgestaltung.
Eine deutliche Warnung betrifft die vielen Compliance-Aktivitäten: „Bis 2027 werden fragmentierte KI-Regulierungen die Hälfte der Weltwirtschaft betreffen und fünf Milliarden Dollar an Kosten verursachen.“ Die Prognose basiert darauf, dass es bereits weltweit rund 1.000 KI-Gesetzesinitiativen gibt, ohne dass eine einheitliche KI-Definition besteht. Damit wird KI-Governance zum Lotteriespiel.
Viele Prognosen erschweren die Übersicht
Parallel dazu gab es weitere Prognosen, beispielsweise für die Software-Entwicklung. In der Meldung „Software Engineering Trends“ schrieb Gartner im Sommer: „KI-native Softwareentwicklung ist inzwischen Standard, LLM-basierte Anwendungen sowie Multiagentensysteme sind unverzichtbar“. In Barcelona wurde diese Aussage dann weiter gestützt: „Entwickler müssen ihre Basiswerkzeuge, Delivery Pipelines und Qualitätsmetriken vollständig auf KI ausrichten“. Ein weiteres Prognose-Instrument ist das „Emerging Technology Adoption Radar“. Es ordnete mehr als 100 Technologien entlang von Zeithorizonten zwischen einem und acht Jahren ein. Dort finden sich Trends, die es selten in die Headlines schaffen, wie Desinformation-Security, Digital Twin von Organisationen, Quantum-KI oder Homomorphic Encryption. Interessant war der Hinweis, dass der Kern der technologischen Verschiebung nicht die Funktionalität ist, sondern das Vertrauen.
Eine weitere Präsentation trug den Titel „Top Strategic Technology Trends“. Dazu gehören laut Gartner KI-native Entwicklungs-Plattformen, KI-Supercomputer, Multiagenten-Systeme, Domain-spezifische Modelle, proaktive Cybersecurity und Geopatriation als neue Einschränkung. Insgesamt gab es bei Gartner so viele Prognosen, dass praktisch kein Buzzword unberücksichtigt blieb. Nötig wäre eine abgestimmte Einordnung der einzelnen Trends und ein begründetes Gesamt-Ranking. Positiv ist zu vermerken, dass Gartner trotz des unbestreitbaren Potenzials von KI eine unterschwellig kritische Einstellung einnimmt. Immer wieder gab es Hinweise auf Neo-Luddite-Bewegungen, nationale KI-Verbote und eine mögliche gesellschaftliche Gegenreaktion auf KI durch Überwachung und Kontrollverlust.
Übertrieben und doch an den drängenden Fragen entlang
Die Gartner-Prognosen übertreiben – wie immer – aber sie verlaufen entlang einer realen tektonischen Verschiebung, die durch KI ausgelöst wurde. Nicht die genannten Jahreszahlen sind entscheidend, sondern die Richtungen: KI-Agenten reorganisieren die Wertschöpfung, Regulierungen fragmentieren Märkte, Daten werden geopolitisch und Produktivitätswerkzeuge stehen vor einem Generationswechsel. Die offenen Fragen betreffen die Governance, Skills und Politik. Für die IT-Beschäftigten wird es wichtig sein, ob sich die Prognose eines hundertprozentigen KI-Einsatzes bei all ihren Arbeiten als technologische Notwendigkeit oder als ein Marketing-Gag entpuppt.
(fo)









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