Es geht tief in den Berg hinein, uniformierte Soldaten aus Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Italien und Norwegen laufen die Gänge entlang. Immer weiter hinein in den bunkerartigen Bau, zu ihren Arbeitsplätzen. Es ist anfangs gar nicht so einfach zu verstehen, was sie hier tun.
Hier in diesem Berg mit seinen drei Stockwerken und weiteren Außengebäuden im norwegischen Stavanger befindet sich eine der ungewöhnlichsten Einrichtungen der Nato, das Joint Warfare Center (JWC). Hier brauchen die Soldaten keine Waffen, sondern lediglich einen Bleistift für Notizen. Smartphones und eigene Computer sind allesamt in Fächern am Eingang wegzuschließen. Nichts soll nach draußen dringen, die Sicherheitsvorkehrungen sind beachtlich.

Die Bunkerkonstruktion im Gestein des Mount Jåttå war einst von den deutschen Besatzern begonnen worden, für eine Krankenstation im Zweiten Weltkrieg. Später baute das norwegische Militär die Anlage aus, seit 22 Jahren ist es Sitz des JWC. „We are here to make Nato better“, steht auf einem Schild.
Durch Russlands Krieg gegen die Ukraine gewinnt das JWC an Bedeutung
Hier werden alle möglichen Szenarien am Computer durchgespielt, auch ein Artikel-5-Fall, wenn zum Beispiel Russland ein Nato-Mitgliedsland angreifen und es gemäß der Beistandsverpflichtung zu einem großen Krieg zwischen Russland und der Nato kommen sollte. Mehr als 1000 Soldaten und Zivilisten sind hier an solchen Simulationen beteiligt. Es geht auch darum, noch stärker die enormen Veränderungen durch künstliche Intelligenz auch in der Kriegsführung zu berücksichtigen.
Der Kommandeur des JWC in Stavanger ist seit September 2024 der deutsche Generalmajor Ruprecht Horst von Butler. „Als ich hier ankam, war ich überrascht vom Umfang der Aufgaben“, sagt er in seinem Büro. „Mit unseren rund 1200 Nato-zertifizierten Arbeitsplätzen üben wir hier eine Vielzahl von Szenarien.“ Nato-zertifiziert bedeutet: besonders streng gesichert. Man fordere gezielt die Nato-Planungen heraus, um kritisch zu bewerten, „wo unsere Stärken und Schwächen liegen“, sagt General von Butler. Man leiste damit einen wesentlichen Beitrag zur Einsatzbereitschaft der Hauptquartiere.
Durch den Krieg in der Ukraine, die Bedrohungslage mit Russland hat das JWC noch einmal stark an Bedeutung gewonnen. So ist hier auch im Beisein von Vertretern etwa des Bundesinnen-, Verkehrs- und Verteidigungsministerium der Operationsplan Deutschland simuliert worden. Wenn zum Beispiel bis zu 800 000 Soldaten über Deutschland an die Nato-Ostflanke verlegt werden, ist es wichtig zu wissen, ob die Logistik funktioniert, welche Brücke überhaupt welche Last aushalten kann.
Für die direkten Lehren aus dem Ukraine-Krieg gibt es zudem seit Februar die erste direkte Einrichtung zwischen der Ukraine und der Nato, das Joint Analysis, Training and Education Centre (JATEC) im polnischen Bydgoszcz – Verminung, Sicherung von Frontlinien, Drohnen, Drohnenabwehr – vieles lässt sich aus diesem Krieg für die 32 Nato-Staaten lernen.
In einer Übung heißt Russland „Murinus“
Gerade läuft hier noch die Operation Steadfast Dagger, ein simulierter Nato-Einsatz gegen Rebellen in Afrika, die mit „schmutzigen Bomben“ Anschläge in Europa verüben wollen. Im Nordosten von „Igainer“ sind die Rebellen, die Resistance Liberation Forces (RLF), besonders aktiv. Verkompliziert wird das Ganze durch die Schutzmacht „Murinus“. Es sind Codewörter, die sie hier benutzen: In der realen Welt ist „Igainer“ Nigeria und „Murinus“ Russland.
Die Operation Steadfast Dagger („Standhafter Dolch“) dauert an den Computern im Berg knapp zehn Tage, ein Auslandseinsatz wie früher in Afghanistan. Als das JWC 2003 gegründet wurde, standen hier Afghanistan-Simulationen im Vordergrund. Damals wie heute geht es um Truppenstärken, Krisenszenarien, das Verhalten des Gegners, kurzum, ob die eigenen Operationspläne funktionieren – die Ergebnisse fließen dann in die Überarbeitung der Pläne im Nato-Verbund ein. In einem Gebäude arbeiten während der Operation Steadfast Dagger parallel auch Mitarbeiter der Nato als Journalisten in einer fiktiven Welt, simulieren den „Krieg“ der Nachrichten, wie versucht wird, die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Es gibt simulierte Pressekonferenzen, in einem Saal mit blauer Nato-Wand im Hintergrund, an diesem Tag sind die ersten Toten zu beklagen, und Nato-Soldaten haben ein Schiff, die „Africa Star“ beschlagnahmt, da es Bombenbau-Komponenten geladen habe. Zudem sind zwei niederländische Polizisten einer EU-Mission verschwunden, die Lage ist unübersichtlich. Auch die Gegenseite wird hier einbezogen. Ein TV-Sender mit dem Namen „Murinus Today“ geht auf Sendung, ein Politiker wettert mit einer fiktiven Staatsfahne im Hintergrund gegen die „aggressive Nato“. Und die EU, auf deren Bitte die Operation stattfindet, sei nur noch „eine Marionette der Nato“. Die Parallelen zu Russia Today sind sicher kein Zufall.









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