Xabi Alonso mit Rodrygo: Hat er die Spielerkabine noch auf seiner Seite?
Foto: Oscar J. Barroso / ZUMA Press / IMAGODieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Unschlüssig standen etliche Spieler von Real Madrid in der Mitte der gegnerischen Spielhälfte, nachdem sie in der zweiten Hälfte erfolglos auf das Tor von Manchester City gestürmt waren. Sollten sie jetzt zur Fankurve gehen? Sinnlos, die Treusten hatten sich mehrheitlich bereits auf den Heimweg gemacht. Also blieben die Profis noch eine Weile so da, blickten ins Leere und erlebten, wie versprengte Grüppchen im Santiago Bernabéu eigens die Vereinshymne abwarteten, um in die Stille danach mit einem beherzten Pfeifkonzert ihren ganzen Unmut herauszulassen.
Wie weit darüber mittlerweile die Ansprüche gesunken sind, illustriert der Umstand, dass die Niederlage gegen City dennoch von Verantwortlichen als Fortschritt gefeiert wurde, weil die Spieler wenigstens das Selbstverständliche gezeigt hatten: Kampf und Haltung. »Heute habe ich der Mannschaft nichts vorzuwerfen«, sagte Trainer Xabi Alonso. Es gab Zuhörer, die dabei die Betonung vor allem auf dem »heute« hörten.
Das fußballerische Niveau der Veranstaltung ordnete derweil sein Gegenüber Pep Guardiola ein. Der Katalane, mit sieben Triumphen nun der erfolgreichste Auswärtstrainer im königlichen Tempel, erklärte mehrfach, mit Leistungen wie dieser werde seine Mannschaft in dieser Saison nicht weit kommen: »Ich habe hier viele Schlachten geschlagen in den letzten fünf Jahren. Oft haben wir viel, viel besser gespielt als heute, aber nicht gewonnen. Das ist die Realität.« Und noch mal für alle: »Um das Halbfinale oder Finale zu erreichen, ist dieses Level nicht genug.«
Zwei Fußballgiganten geschrumpft zur Double-Band
Tatsächlich war die Partie ein zwar unterhaltsamer, aber auch eher zweitklassiger Abklatsch jener Duelle, die besonders zwischen 2022 und 2024 den Ruf eines neuen europäischen Clásico begründeten. Ein bisschen wie bei diesen Double-Bands, die große Künstler kopieren und damit auch ihr Publikum finden.
Nur der Gassenhauer zur Zugabe fehlte im Repertoire: Wunder gibt es nicht immer wieder. Anders als früher so oft gelang es Madrid nicht, das Match in der Schlussphase zu drehen oder wenigstens auszugleichen. Manche Zuschauer glaubten nicht mal mehr daran, sie gingen schon während der Nachspielzeit.
City steckt in einem Umbau, der Mannschaft fehlt die Stringenz früherer Guardiola-Teams, insbesondere die Ballsicherheit.
Und Real, was spielt Real, wohin geht Real? Diese Frage beschäftigt sie in Madrid seit Monaten, und sie führt direkt zum umstrittenen Xabi Alonso.
Rodrygo und Bellingham: Königliche Verzweiflung
Foto: Jose Breton / NurPhoto / IMAGOAm Mittwoch agierte sein Team mit dem Kampfgeist, aber auch der mangelnden Fortüne eines Krisenteams. »Echale huevos«, forderten die Fans schon beim Aufwärmen, und ja: die Spieler »warfen Eier hinein«. Ohne den angeschlagenen Kylian Mbappé funktionierte auch das Pressing besser, weil sich sein junger Ersatz Gonzalo anders als der Torschütze vom Dienst dafür nicht zu schade ist. Und als dann der Brasilianer Rodrygo mit seinem 1:0 die längste Durststrecke eines Real-Stürmers in der Geschichte (32 Matches ohne Tor) beendete, schien das ersehnte Statement in greifbarer Nähe.
Doch postwendend wurden gegen ein bis dato ungefährliches City zwei Tore hergeschenkt: Erst durfte Nico O’Reilly im Fünfmeterraum abstauben, dann warf Antonio Rüdiger elfmeterreif Erling Haaland zu Boden. Der Norweger verwandelte, der Rest waren beiderseits vergebene Chancen gegen die weltbesten Torhüter der vergangenen Jahre, Thibaut Courtois und City-Neuzugang Gianluigi Donnarumma.
»Der Trainer ist genial. Ich habe ein exzellentes Verhältnis zu ihm, und viele meiner Mitspieler auch.«
Jude Bellingham über Trainer Alonso
In der Interviewzone positionierten sich die Spieler dann deutlich gegen den Vorwurf nach dem apathischen 0:2 gegen Celta Vigo am Sonntag, sie würden Xabi Alonso »das Bett beziehen«, wie man auf Spanisch sagt. Nein, sie spielen nicht gegen den Trainer, »dann hätten wir 0:6 verloren«, sagte Courtois: »Heute haben wir gezeigt, dass wir hinter dem Mister stehen«. Jude Bellingham fügte hinzu: »Der Trainer ist genial. Ich habe ein exzellentes Verhältnis zu ihm, und viele meiner Mitspieler auch.«
Ein Genie – mit diesem Ruf ist Alonso in Madrid angetreten, nachdem er in Leverkusen die einzige Nicht-Bayern-Meisterschaft der vergangenen 13 Jahre gewonnen hatte. Aber Leverkusen ist Leverkusen. Und Madrid ist Madrid.
Wo die Probleme von Real Madrid liegen
Für die größten, weil strukturellen Probleme kann Alonso nichts. Der Kader ist unbalanciert. Anstatt den seit dem Abgang von Toni Kroos vor anderthalb Jahren dringend benötigten Spielmacher zu verpflichten, oder wenigstens einen durchschlagkräftigen Mittelstürmer, kaufte Real-Präsident Florentino Pérez mit dem Argentinier Franco Mastantuono die nächste junge Halbspitze. So geht das seit Jahren: Madrids beste drei Angreifer, Mbappé, Vinícius Júnior und Rodrygo etwa bevorzugen allesamt die linke Angriffsseite. Mit dem Veteran Luka Modrić wurde dafür im Sommer der letzte Profi abgegeben, der wirklich etwas von Spielorganisation verstand.
Nicht nur im oft beklagten Angriff, auch im Mittelfeld tummeln sich jetzt die Diven. Bellingham hält sich seit einer brillanten Einstandszeit im Herbst 2023 für eine Reinkarnation von Diego Maradona. Reals beste Ausgleichschance vergab er, indem er den Ball über den Hünen Donnarumma schnibbeln wollte, anstatt ihn, Reals prekärer Situation angemessen, einfach ins Eck zu schießen. Taktisch ist der vermeintliche Leader Bellingham unzuverlässig, seine Position ein Rätsel.
Eben das ist es aber, was von Alonso erwartet wurde – dass er der Mannschaft einen Plan und eine Identität vermittelt. Hinter vorgehaltener Hand wird über ausufernde Videosessions gelästert, doch auf dem Platz ist davon wenig zu sehen. Die Heldenfußballer von Madrid scheinen den Konzepttrainer Alonso instinktiv abzustoßen wie so viele Vertreter dieses Typus vorher.
Heldenfußballer wie Vinícius Júnior (r.): Offenbar kein Fan von Konzepttrainern wie Alonso
Foto: Thomas Coex / AFPWegen seiner Aura als Spielerlegende hatte man Alonso allerdings mehr Geschick im Umgang mit der Kabine zugetraut als schnell gescheiterten Vorgängern wie Rafael Benítez oder Julen Lopetegui. Im Idealfall sollte er in dieser Hinsicht an die Erfolgsmodelle Carlo Ancelotti und Zinédine Zidane heranreichen.
Stattdessen zettelte er mit häufigen Auswechslungen von Vinícius einen Matchkampf an, den er kaum gewinnen konnte. Im Clásico gegen Barcelona rebellierte der Brasilianer unzweideutig gegen den Trainer, einige Tage später entschuldigte er sich in einer Stellungnahme zwar bei Teamkollegen, Verein und Fans, nicht aber bei Alonso. Sollte Alonsos Ära wirklich ein kurzes Intermezzo bleiben, wird diese Episode als Anfang vom Ende in die Geschichtsschreibung eingehen.
In der Liga hat Madrid derzeit vier Punkte Rückstand auf Barcelona. Nach dem gewonnenen Clásico Ende Oktober waren es sogar fünf Punkte Vorsprung. Zudem wurden zwei der letzten drei Champions-League-Spiele verloren, aber dank des neuen Liga-Modus ist die Lage in der Königsklasse (noch) nicht bedrohlich.
So kommt es, dass sich Alonso inzwischen zu etwas mehr Kampfgeist aufrafft. Gegen City diskutierte er ausdauernd mit der vierten Schiedsrichterin Stéphanie Frappart, später verwickelte er die Presse in einen kurzen Schlagabtausch. Auf die Frage nach den Pfiffen und danach, ob das Publikum mehr erwarten dürfe, sagte er: »Ihr stellt es so dar, aber es gilt, viel Ruhe zu bewahren, denn die Saison ist noch sehr lang.«
Bellingham, Rüdiger, Courtois
Foto: Manu Fernandez / AP / dpaRuhe? Nicht gerade eine klassische Tugend am Königshof, auch wenn der Matchball gegen die Entlassung erst mal gewonnen wurde. »Das war nicht (genug), um ihn rauszuwerfen«, resümierte »Marca« lapidar. Stirb an einem anderen Tag.
Ob er damit rechne, am Sonntag in der Liga bei Alavés in Vitoria dieselbe Mannschaft zu sehen? Noch so eine Frage, die ihr Gift dezent mit sich trug. Gemeint war nicht das Personal, sondern die Haltung. Alonso antwortete ausweichend.
An einem Dezemberabend in seiner baskischen Heimatregion wird seine Zukunft das nächste Mal verhandelt. Vor Weihnachten stehen außerdem noch der Pokal und ein Heimspiel gegen Sevilla an. Im neuen Jahr warten ein Heimspiel gegen Betis und die in Spanien ernst genommene Supercopa in Saudi-Arabien mit einem Halbfinale gegen den Stadtrivalen Atlético und einem möglichen Finale gegen Barça. Der ideale Anlass für Alonso, um sich zu rehabilitieren. Wenn er denn so weit kommt.

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