Der Fifa-Präsident zieht über Europa her, Trump möchte die EU zerstören. Sollen die zwei ihre WM halt ohne uns austragen. Dann bleibt nicht mehr viel guter Fußball übrig.
12. Dezember 2025, 14:16 Uhr
In unserer Kolumne "Grünfläche" schreiben abwechselnd Oliver Fritsch, Christof Siemes, Stephan Reich und Christian Spiller über die Fußballwelt und die Welt des Fußballs. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 50/2025.
Als Kind war ich mit Leib und Seele Fan der Nationalmannschaft. Siege bedeuteten mir viel, Niederlagen konnte ich schwer verwinden. Ihre Gegner waren meine Gegner. Als Italien im WM-Finale 1982 meine Mannschaft schlug, wurde ich zornig. Die Niederlage gegen die Niederlande im EM-Halbfinale 1988 empfand ich als Schmach. Welche Worte ich damals rief, schreibe ich heute besser nicht.
Mittlerweile fühle ich mich als Niederländer und Italiener. Ich fühle mich als Franzose, Spanier, Engländer, als Deutscher freilich auch. Wenn nächstes Jahr die WM im Männerfußball ausgetragen wird, halte ich zu Europa. Die Präsidenten der Fifa und der USA, Gianni Infantino und Donald Trump, haben mich dazu gebracht.
Die zwei Flegel haben einiges gemeinsam, nicht zuletzt die Abneigung gegen die freie EU. Das weckt in mir das Gegenteil. Infantino, ein Schweizer mit italienischen Wurzeln, zog vor drei Jahren in Doha feindselig über Europa her. Ihm gefiel nicht, dass manche europäische Länder kritisierten, dass auf WM-Baustellen Arbeiter starben. Die Fifa würde er wohl am liebsten von Zürich nach Florida verlegen – wenn sein als korrupt geltender Verband dort ebenso wenig Steuern zahlen müsste. Und was Trump der EU wünscht, haben wir seit der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA nun schwarz auf weiß.
Die Rede vom Abgehängtsein hört man sogar aus Europa selbst recht oft. Diese Schlappschwänzigkeit ist leider auch Teil von uns. Die Rede vom nahenden Untergang ist so oft gehalten worden, dass man das Klagen fast auswendig kennt. Oft und vor allem im Fußball ist sie völlig unangebracht. Der europäische Fan könnte mit breiter Brust auftreten.
2026 findet die WM in den USA statt. Trump wird diese einmalige Weltbühne für seine Zwecke missbrauchen wollen. Doch wird er in seiner Heimat auch mitansehen müssen, wie stark der Kontinent wirklich ist, den er unterjochen, wenn nicht gar politisch zerteilen möchte. In der Techbranche sind die USA führend. Das Silicon Valley des Fußballs liegt in Europa.
Fußball ist ein Spiegel der Ressourcen und der Leistungsfähigkeit von Nationen. So schlecht kann es um Europa also nicht stehen. Okay, es gibt Brasilien und den aktuellen Titelträger Argentinien (und früher mal Uruguay), doch alle anderen Weltmeister kamen aus Europa. Selbst kleine Länder wie Schweden, Ungarn, Kroatien und die Tschechoslowakei erreichten einst das Finale.
Ein paar Zahlen: Gäbe es im Fußball Medaillen, wären in den vergangenen zwei Jahrzehnten 87 Prozent von Gold, Silber und Bronze an Europa gegangen. Drei der vergangenen fünf Endspiele waren rein europäische Angelegenheiten.
In der Bilanz der beinahe hundertjährigen WM-Historie steht da bei Mittel- und Nordamerika eine 0, bei Asien ebenfalls. China, was ist eigentlich aus dem Plan geworden, Weltmeister zu werden? Ach so, gar nicht qualifiziert diesmal. Immerhin stand bei der vorigen WM erstmals Afrika im Halbfinale, cool. Das Team aus Marokko setzte sich aber hauptsächlich aus Spielern zusammen, die in Europa aufwuchsen und ausgebildet wurden. Die meisten waren Kinder von Flüchtlingen.
Nächsten Sommer sind Spanien und Frankreich unter den Favoriten. Auf England sind Fans aus aller Welt gespannt. Vermutlich übersteht sogar die DFB-Elf wieder mal eine Vorrunde. Selbst in der tiefsten Krise möchte niemand Deutschland als Gegner zugelost bekommen.
Und sollte Italien sich nicht qualifizieren, würden viele den vierfachen Weltmeister vermissen. Curaçao und Kap Verde dagegen sind dabei. Wer dies kritisch anmerkt, wie zuletzt der TV-Experte Christoph Kramer, dem wird Eurozentrismus vorgehalten.
Tatsächlich ist Eurozentrismus im Fußball nicht unangebracht. Das Spiel wurde in Europa erfunden und wurzelt bis heute hier am tiefsten. Das ist der Grund für den dauerhaften Erfolg, an dem sich so schnell nichts ändern wird. Aus dieser sportlichen Stärke erwüchse, rein theoretisch, sogar politische Macht. Wenn alle europäischen Länder und Vereine mit WM-Boykott drohen würden, bliebe nicht mehr viel Fußball übrig.
Infantino weiß das, Trump dürfte es ahnen. Bei der Siegesfeier der Klub-WM in diesem Sommer, dem Prolog zur WM, stahl er die Trophäe. Im Endspiel standen London und Paris. Und bei der Auslosung erwog der US-Präsident, den Nationalsport American Football umzubenennen, damit seine Landsleute den echten Fußball nicht mehr "Soccer" nennen müssen. Ein ungewöhnlich bescheidener und heller Moment.
Noch ein Fakt: Das letzte WM-Finale ohne europäische Beteiligung fand 1930 statt. Weil die Schiffsreise nach Uruguay zu lange dauerte, nahm damals fast niemand aus Europa teil. Diesmal kommen wir geflogen. An Infantino, Trump und alle anderen, die Europa schon abgeschrieben haben: Aufm Platz werden wir es euch nächsten Sommer zeigen!

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