Es hat schon ödere Talkshows im deutschen Fernsehen gegeben als diese. Wirklich. Dass die drei Journalisten, die bei Sandra Maischberger zu Gast waren, meistens dasselbe oder doch sehr ähnlich über den Zustand der deutschen Politik dachten, dafür konnten sie nichts. Aber so kam leider auch keine Spannung auf. Man hörte einander zu, nickte, sagte etwas, nickte noch einmal.
Die frühere „heute“-Moderatorin Petra Gerster verteidigte immerhin die Mütterrente, was nicht jedem sofort einfiele, weil die Mütterrente so eindeutig ein Produkt der Klientelpolitik von Markus Söder (CSU) ist – was andererseits nicht davon ablenken sollte, dass sie im Licht der gigantischen Staatsverschuldung namens „Sondervermögen“ einen kleineren Posten darstellt. Gordon Repinksi (Politico Deutschland) wiederum vermisste die „großen Reformen“, die von der Merz-Regierung versprochen waren. Susanne Gaschke von der „Neuen Zürcher Zeitung“ sprach unverhohlen aus, dass das Rentenalter nach oben gehen muss, wenn es der demographischen Entwicklung entsprechen soll: Wir werden älter, also müssen wir auch länger arbeiten. Und irgendeiner wird es umsetzen müssen, früher oder später, so oder so.
Merz unter „Rechts-Verdacht“?
Gut. War alles nicht neu, kann man sich aber gern noch einmal erzählen lassen, wenn man nichts Besseres zu tun hat oder keine Champions League mag. Viel weniger verständlich ist, warum Sandra Maischberger ihre Gäste ein weiteres Mal um einen Kommentar zur „Stadtbild“-Debatte und der Psychopathologie des Bundeskanzlers bat. Die Kinderei um dieses Wort hat doch lange genug gedauert.
Wer auch nur einen flüchtigen Blick in andere Weltgegenden wirft und deren Probleme mit einem Minimum an Realismus betrachtet, müsste sich sowieso an den Kopf greifen, dass sich die mediale Öffentlichkeit dieses Landes mit solcher Lust an einer einzigen unscharfen Formulierung abarbeitet. Susanne Gaschke erwähnte, bei Merz gebe es eben einen „Rechts-Verdacht“. Seine Aussage zum „Stadtbild“ sei bei der Bevölkerung jedoch gut angekommen, nur bei den Medien nicht.
Noch einmal wird die Sau durchs Dorf gejagt
Halten wir hier einen Augenblick inne. Vielleicht sagt dieser Vorgang mehr über die Trägheit, die Pedanterie und die elende Kleinkrämerseele unseres Landes, als wir wahrhaben wollen. Vielleicht illustriert er in peinlicher Deutlichkeit unsere Neigung zur Pseudoproblem-Beackerung und öffentlich-rechtlichen Aufklärungssimulation. Wenn Maischberger die Sau nämlich noch einmal durchs Dorf jagt, als wäre das arme Tier nicht schon zehn Mal vom einen Ende zum anderen gehetzt worden und beim elften Mal kollabiert, wird die Moderatorin vermutlich gedacht haben, die Zuschauer fänden es gut, noch ein paar Wochen länger über das „Stadtbild“ zu reden. Und wenn sie das denkt, mag sie dafür Anlass gehabt haben. Andererseits hätte Maischberger sich auch sagen können: Schluss jetzt mit dem blöden Stadtbild! Es reicht! Haben wir nichts Wichtigeres zu bereden?
Hat sie aber nicht. Sie brauchte einen kleinen Aufreger. Sodass man folgern muss, „Maischberger“ halte sich lieber mit kompletten Nebensächlichkeiten auf, als die Sendezeit für sinnvollere Themen zu nutzen. Nicht nur, dass Bundeskanzler Merz zu einer Reizfigur geworden ist, die man auch dann in die Sendung quetscht, wenn es um ganz andere Dinge geht. Sondern dass man ihn ständig an seinen Worten misst, nicht an seinen Taten.
Verglichen mit Trump, merkte Petra Gerster an, seien die Aussagen des Kanzlers doch „Peanuts“. Man könnte es noch schärfer sagen: Während der gegenwärtige amerikanische Präsident unsere liebe alte Weltordnung in brennholztaugliche Stücke schlägt, spielen wir gebührenfinanziertes Jo-Jo.
Ein Gebet für Friedrich Merz
Es folgte der Auftritt des netten Cem Özdemir, Spitzenkandidat der Grünen bei der Landtagswahl in Baden Württemberg im kommenden März und Hoffnungsträger seiner Partei. Hat er Erfolg, beerbt er den ersten und einzigen grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Özdemirs größte Leistung an diesem Abend bestand darin, unter den penetranten Nachfragen der Moderatorin zum konkreten Datum des Verbrenner-Aus hinweggetaucht zu sein wie ein Fisch. Kommt es jetzt 2035? Oder 2040? Özdemir wollte sich nicht festlegen. „Wollen Sie mir eine Jahreszahl nennen?“ Özdemir: „Wir wollen es so früh wie möglich schaffen.“ Maischberger: „Also keine Zahlen.“ Özdemir: „Es geht doch um etwas ganz anderes.“ Sinngemäß jetzt. Und so weiter.
Betet er für Friedrich Merz? Cem Özdemir bei MaischbergerWDR/Melanie GrandeEs wird Sie nicht überraschen, liebe Leserin, lieber Leser, dass die Moderatorin auch den unschuldigen Cem Özdemir nach dem „Stadtbild“ fragte. Dem „Stadtbild“ entging an diesem Abend niemand. Später wollte sie auch noch wissen, ob der schwäbische Spitzenmann der Grünen für Friedrich Merz bete. Im Ernst? Das viel wichtigere Thema – warum nämlich der Klimaschutz so vollständig abgeräumt ist und in der politischen Debatte dieses Landes kaum noch eine Rolle spielt –, stand bei der Moderatorin nicht auf dem Zettel, und es spricht für Özdemir, dass er sich nicht damit abfinden wollte.
Ist Landesverteidigung ein sinnvoller Dienst?
Als Mitternacht erreicht und sicherlich nicht mehr viele Zuschauer dabei waren, sprachen der Linken-Vorsitzende Jan van Aken und der Politikwissenschaftler Christian Mölling über Wehrpflicht, Rüstung und die neue Sicherheitslage Europas in Zeiten der Trump-Regierung. Es ging also um etwas. Und eine Debatte der Achtzigerjahre, aus den Zeiten des „NATO-Doppelbeschlusses“, wurde wieder lebendig: Werden wir aufrüsten müssen, um irgendwann wieder abrüsten zu können? Und wie lange wird das dauern?
Mit der Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden Gästen ging es ins Bett. Doch ein wichtiger Satz von Christoph Mölling zur Wehrpflicht und dem Aufbau einer schlagkräftigen Bundeswehr blieb haften: Das Problem liege darin, sagte er, „dass es uns nicht gelingt, den jungen Leuten zu vermitteln, dass das ein sinnvoller Dienst ist“. Darüber müsste gesprochen werden, gern ausführlich und zu etwas früherer Stunde: was dieser Dienst bedeutet, wie man ihn erklärt und wer bereit wäre, ihn zu leisten.

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