Han Kang: Literaturnobelpreisträgerin wechselt Verlag

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Als im Oktober 2024 bekannt wurde, dass die Südkoreanerin Han Kang den Literaturnobelpreis erhalten sollte, erzählte die Schriftstellerin dem schwedischen Sender SVT, dass sie ihrem Vater ein Festbankett ausgeredet habe. Sie feiere zwar gerne, aber lieber im Stillen, sagte sie, und berichtete von einem Abendessen mit ihrem Sohn und Kamillentee.

Wer Han Kangs berühmten Roman „Die Vegetarierin“ gelesen hatte, den wunderte das nicht. Schließlich war jene Geschichte über eine Frau, die sich gegen ihren Mann auflehnt, indem sie ihm verkündet, kein Fleisch mehr zu essen, keine koreanische Gesellschaftssatire. Sie erzählte auch nicht bloß von einem subversiven Akt, sondern, dem „Hungerkünstler“ von Franz Kafka ähnlich, von der Subversion schlechthin: Die „Vegetarierin“ bricht mit dem Gesetz des Fleisches und zugleich mit dem des Vaters, indem sie beschließt, eine Pflanze zu sein und nur noch Sonne und Wasser zu benötigen.

Bruch mit dem patriarchalen System

Beim Bankett der Nobelpreisträger im Dezember in Stockholm nahm Han Kang vor einem Jahr dann aber teil. Es war allerdings bezeichnend für sie, dass sie nicht die internationalen Verleger ihrer Bücher eingeladen hatte, sie zur Preisverleihung zu begleiten – auch hier brach sie mit dem patriarchalen Prinzip –, sondern ihre Lektorinnen und Lektoren aus den unterschiedlichen Ländern. Jene Menschen also, mit denen sie eng zusammengearbeitet hatte und zu denen sie Kontakt hielt.

In Deutschland war das beim Aufbau-Verlag die Lektorin Friederike Schilbach, seit 2019 Leiterin der Belle­tristik und prägend für das Gegenwartsliteratur-Programm des Verlags: „Unsere leitende Lektorin für Literatur Friederike Schilbach mit Nobelpreisträgerin Han Kang in Stockholm, wo die Preisträger:innen heute Abend bei der feierlichen Zeremonie ihre Ehrung erhalten“, lautete die Bildunterschrift eines Instagram-Posts des Aufbau-Verlags vom 10. Dezember 2024, der völlig zu Recht sehr stolz klang und den man noch heute abrufen kann. Was kurz darauf folgte, war umso unverständlicher: Der Aufbau-Verlag, dessen Eigentümer, Matthias Koch, Anfang 2024 bereits das Ausscheiden seiner renommierten Verlegerin Constanze Neumann verkündet hatte, die sich neuen Aufgaben widmen wolle, wie es hieß, trennte sich von Schilbach, die von Neumann zur Belletristik-Leitung ernannt worden war.

Han Kang mit Lektorin Friederike Schilbach in Stockholm im Dezember 2024Han Kang mit Lektorin Friederike Schilbach in Stockholm im Dezember 2024aufbau_verlage/Instagram

Neumann hatte Han Kangs Werk nach dem Erfolg von „Die Vegetarierin“ einen hohen Stellenwert eingeräumt und im Anschluss an den überwältigenden Roman „Menschenwerk“ auch ihre Bücher „Deine kalten Hände“ und „Weiß“ in deutscher Übersetzung verlegt. Die Südkoreanerin wurde 1970 in Gwangju geboren, jener Stadt, in der im Jahr 1980 Studenten, Arbeiter und Bürger gegen die damals in Südkorea herrschende Militärdiktatur rebellierten, auf Demokratie hofften und vom Militär mit 20.000 Soldaten und Panzern niedergemetzelt wurden. Vier Monate vor dem Massaker, Han Kang war neun Jahre alt, zog ihre Familie nach Seoul, durch Zufall, ohne zu ahnen, was kommen sollte. Das Schuldgefühl, überlebt zu haben, wurde sie seitdem nicht los und machte Gewalt und Würde zum Thema ihres literarischen Schreibens. Zeitgleich mit dem Nobelpreis erschien auf Deutsch „Unmöglicher Abschied“.

„Donnerfee und Blitzfee“

Nach dem Weggang von Constanze Neumann bei Aufbau hatte man mithilfe eines Hamburger Headhunters über Monate hinweg versucht, eine neue Verlagsleitung zu finden. Immer neue Kandidaten waren gefragt worden, was sich schnell herumsprach. Auch Journalistinnen und Journalisten waren angesprochen worden: Geäußert wurde die Hoffnung, den erfolgreichen Wechsel der ehemaligen F.A.Z.-Literaturchefin Felicitas von Lovenberg an die Spitze des Piper-Verlags in Berlin nachahmen zu können.

Nach zahlreichen Absagen wurde, von Diogenes kommend, Heide Kloth zum 1. Oktober 2024 als neue Aufbau-Verlegerin eingestellt. Kloth leitete schon die Geschäfte, als Schilbach auf Einladung von Han Kang nach Stockholm reiste – und als der Verlag sich von der Lektorin trennte. „Das Wichtigste“ seien „die Menschen, die Autorinnen und Mitarbeiter“, sagte Kloth im September bei ihrer Rede zu 80 Jahren Aufbau-Verlag im tak Theater in der Prinzenstraße, was vor dem Hintergrund der Trennung für Eingeweihte einen zynischen Anklang hatte. Sie sei erst seit einem knappen Jahr dabei, so die Verlegerin weiter: „An meinem dritten Arbeitstag hat Han Kang den Nobelpreis gewonnen, da hat Aufbau viel richtig gemacht, auch wenn ich noch nicht da war.“

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Seither hat Aufbau offensichtlich viel falsch gemacht. Denn jetzt trennt sich Han Kang von dem Verlag. Das Kinderbuch „Donnerfee und Blitzfee“ konnte im August noch in der zu Aufbau gehörenden Anderen Bibliothek erscheinen. Der nächste Roman, der voraussichtlich im Spätsommer 2026 in der deutschen Übersetzung zu erwarten ist, wird bei Ullstein herauskommen, wie Ullstein-Verleger Karsten Kredel auf Nachfrage bestätigt.

Für Aufbau ist das ein dramatischer Verlust, für Ullstein ein Coup: „Han Kang zu lesen heißt, der expressiven Kraft von Literatur selbst zu begegnen“, so Kredel gegenüber der F.A.S. „Ihr Werk erweitert das Vokabular unserer Gefühle und erfasst unsere Zeit – ihre geisterhafte Verwurzelung in vergangener Gewalt genauso wie die Sehnsucht nach Verbindung in einer zersplitternden Erfahrungswelt – wie kein zweites. Es ist uns eine große Freude und eine Verpflichtung, dass sie nun mit ihrem Werk ein Zuhause bei Claassen und den Ullstein Buchverlagen findet.“

Die Literaturnobelpreisträgerin folgt damit nicht zuletzt auch ihrer Lektorin. Denn während Constanze Neumann für Bastei-Lübbe ein neues Imprint entwickelt hat, das den Namen „Pfaueninsel“ trägt, seinen Sitz in Berlin hat und im Frühjahr 2026 mit vier belletristischen Titeln und zwei erzählenden Sachbüchern startet (Spitzentitel wird ein Buch von Florian Illies über einen Magier und Alchemisten des 17. Jahrhunderts sein, der auf der Pfaueninsel lebte), hat Friederike Schilbach inzwischen die Programmleitung von park x ullstein übernommen. Zu Schilbachs Autorinnen gehörten bei Aufbau neben Han Kang Tove Ditlevsen, Sigrid Nunez, Cemile Sahin, Hengameh Yaghoobifarah, Paulina Czienskowski, Elina Penner oder Helene Bukowski. Bukowski bringt ihren neuen Roman „Wer möchte nicht im Leben bleiben“ im Februar in dem zu Ullstein gehörenden Claassen-Verlag heraus. Han Kang und Bukowski könnten womöglich nicht die einzigen Autorinnen sein, die Aufbau abhanden kommen.

Dass die Literaturnobelpreisträgerin ihre Reise nach Stockholm auch dazu nutzte, öffentlich zu zeigen, wie sehr sie die Arbeit ihrer Lektorinnen und Lektoren in den verschiedenen Ländern, in deren Sprachen sie übersetzt wurde, wertschätzt und wie viel sie ihnen verdankt, hätten auch die Eigentümer des Aufbau-Verlags besser im Blick haben können. Genauso wie die neue Verlegerin. Denn wer diesen Respekt nicht hat, der baut ab – nicht auf.

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