Als Ende Oktober 1918 die Kieler Matrosen Befehle verweigerten, war das der Anfang vom Ende des Kaiserreichs. Noch weitgehend unbemerkt hat sich nun am Donnerstagnachmittag in Kiel abermals ein Akt der Insubordination ereignet. Die Volksvertreter des schleswig-holsteinischen Landtages haben sich erdreistet, den Sachsenwald der Hoheit der umliegenden Gemeinden zu unterstellen.
Der fast 28.000 preußische Morgen große Wald ist Eigentum der Familie Bismarck und soll es – zum Glück! – auch bleiben, doch die „öffentlich-rechtlichen Rechte und Pflichten“, die das Hause Bismarck dort bisher treu, sorgsam und höchstpersönlich ausgeübt hatte, sollen zum 1. Januar an die Gemeinden im Umland übergehen. „Das Recht hat auf Gleichheit zu achten“, so die radikale Gesetzesbegründung. Was hat die sonst so umsichtigen Abgeordneten zu diesem Anflug von Jakobinismus verleitet?
Seine Majestät Kaiser Wilhelm I. hatte Otto von Bismarck in Anerkennung seiner Dienste um die Reichsgründung nicht nur in den Fürstenstand erhoben, sondern auch mit dem Forstgut Sachsenwald beschenkt. An dessen Rande, in einem Mausoleum des Familienschlosses Friedrichsruh, ruht der eiserne Kanzler bis heute.
Auslöser der neuesten Kieler Revolution ist aber der Boden, unter dem der Kanzler liegt. Selbstverständlich war es 1871 undenkbar, das Gut eines Reichsfürsten einer einfachen Landgemeinde zu unterstellen – ein Bismarck kann sich, wenn überhaupt, nur selbst regieren. Und in dieser traditionellen Landesunmittelbarkeit blieb der Sachsenwald bis zuletzt: Die Familie Bismarck, so will es das noch bis zum Neujahrstag gültige Gesetz, übt die Amtsgewalt im Sachsenwald aus. Über wen? Im Wesentlichen über sich selbst.
Sie sorgt für ihre eigenen Forstwege, hält fleißig ihre eigenen Brücken instand und betreibt pflichtgemäß die Wiederaufforstung ihres eigenen Waldes. Und natürlich muss sie sich auch selbst besteuern! Der Gutseigentümer schlägt einen Gutsvorsteher vor, dieser treibt die Gewerbesteuer ein, diese fließt dem Forstgutsbezirk zu, also dem Gutseigentümer, also den Bismarcks – all dies hatte seine schöne Tradition und Richtigkeit.
Bis der Moderator Jan Böhmermann gemeinsam mit „Frag den Staat“ vor einem Jahr die Öffentlichkeit aufhetzte, indem er publik machte, dass sich auch andere Firmen unter den schützenden Schirm der Fürstenfamilie begeben hatten. In einer abgeschiedenen Hütte im Sachsenwald handelten einige von ihnen mit Wertpapieren und koffertragenden Tretrollern. Man fühle sich wohl im Grünen, sagten die einen. Man unterstütze die bismarckschen Bemühungen um den Klimaschutz, sagten die anderen.
Weil die fürstliche Familie in Sachen Gewerbesteuerhebesatz Milde walten ließ, witterte das einfache Volk einen Skandal, schrie etwas von „Steueroase“ und trieb seine Vertreter so lange vor sich her, bis der Landtag sich am Donnerstag dazu hinreißen ließ, den Sachsenwald den Nachbargemeinden zuzuschlagen. Wir blicken erschrocken auf diese Anmaßung, die offenbar nichts von der stolzen Tradition der Steuerexemtion des Adels weiß, und erwarten dringlichst die Restitution des guten alten Rechts.

vor 2 Stunden
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