Hermann Glöckner hatte das große Glück, noch zu erleben, wie seine Kunst nach langer Durststrecke endlich die gebührende Wertschätzung fand. Er war schon fast neunzig als es Mitte der Siebzigerjahre so richtig losging mit Ausstellungsbeteiligungen, bald auch international in Tokio, Paris oder Florenz. Aber auch Preise konnte er damals noch einheimsen und arbeiten bis zuletzt, bis zu seinem Tod 1987. Geboren wurde Glöckner 1889 in Cotta bei Dresden. Nach einer Lehre als Musterzeichner und Heimkehr aus dem Ersten Weltkrieg studierte er an der Dresdner Kunstakademie.
Schon bald experimentiert er mit Malerei und Plastiken zwischen Abstraktion und Figuration, heute kennt man ihn als bedeutenden Mitbegründer des deutschen Konstruktivismus, doch dazu wurde er mehr oder minder im Verborgenen. Denn die Kulturpolitik machte ihm gleich zweimal dicke Striche durch die Karriere: Während der Nazizeit muss Glöckner sich durch Kunst am Bau ernähren, Sgrafittimotive in Fassadenputz kratzen, Bilder von Raucheruntensilien für einen Tabakwarenladen in Radebeul oder Rinder für den Metzger. Als dann die DDR den sozialistischen Realismus zur Staatskunst ausruft, was Künstler wie Georg Baselitz und Gerhard Richter in den Westen treibt, bleibt Glöckner in Dresden und verfolgt weitgehend aus dem Kunstbetrieb zurückgezogen konsequent den eigenen Weg.
Der Konstruktivismus Hermann Glöckners steht offensichtlich Pate: Blick in Thomas Scheibitz' AtelierThomas Scheibitz AtelierAuch Thomas Scheibitz wurde in der Nähe Dresdens geboren, auch er studierte an der dortigen Hochschule. Internationale Erfolge feiern seine Arbeiten, seit er 2005 den deutschen Pavillon auf der Venedig-Biennale mitgestaltete. Als Jugendlicher sieht Scheibitz erstmals Werke von Glöckner und macht Radausflüge zum Gasthof „Hofewiese“, einem großen Fachwerkbau, den schon Glöckner zeichnete. Das Blatt inspirierte Scheibitz zu einem Bild dichter Verstrebungen in starken Farben. Als Ausdruck einer verbindenden Idee hängt er nun beide Arbeiten an den Anfang einer grandiosen Schau, mit der er sich vor dem Älteren verneigt.
Faltungen und räumliche Brechungen waren Glöckners Markenzeichen
Zu sehen ist sie in Münchens Staatlicher Graphischer Sammlung, die von beiden bedeutende Konvolute besitzt und Scheibitz als Künstler und Kurator zugleich einlud. Glöckner nutzte alle möglichen Fundstücke für kleine Skulpturen. Manche „Faltung“ und „Räumliche Brechung“, so etwas wie seine Markenzeichen, knickte und klebte der Künstler aus Pappstreifen. Aus bemalten Streichholzschachteln, aus rhythmisch gestapelten Holzstückchen, Metallresten kreierte er seinen Skulpturenpark in Liliputformat.
Strenges Geschenk für seine Frau Frieda: Hermann Glöckners "Rechtwinkelige Durchdringung: Zeichen F auf Schwarz", um 1932Staatliche Graphische Sammlung München Dauerleihgabe der Ernst von Siemens Kunststiftung/Bild-Kunst, Bonn 2025Und wie reagierte nun Scheibitz auf diese wunderbaren Petitessen? Er baut ihnen Sockel, die trotz ihrer Wucht und Größe den Exponaten nicht die Schau stehlen sondern, ganz im Gegenteil, sie vollkommen zur Geltung bringen. Hier greifen sie eine Rundung auf, dort einen spitzen Winkel, hier kontrastiert ein Farbton, dort kollaboriert ein anderer. Es ist nicht das erste Mal, das Scheibitz das Werk eines Meisters mit dem eigenen dialogisieren lässt. 2019 nahm er es in einer gefeierten Schau des Museums Berggruen mit Pablo Picasso auf.
Dabei gibt er nie vor, das Rad neu zu erfinden. In einem Interview beschrieb er, dass, wer sich der Malerei verschreibe, „einen fünfhundert Jahre alten Rucksack mit sich herumschleppt“. Das gilt selbstverständlich genauso für Skulptur. Wenn solche Tandemtouren mit bedeutenden Vorgängern zeigen sollen, wie Ideen von einst in einer aktuellen Bildsprache transformiert weiterleben, braucht es ebenso viel Selbstbewusstsein wie Einfühlungsvermögen. Thomas Scheibitz übernahm eine dienende Rolle, hinter der er sich aber nicht versteckte.
Im besten Falle, so sagte er selbst, habe er einen Verstärker geliefert für etwas, das eigentlich schon vollkommen war. Die Kombinationen aus Sockeln und Gesockeltem sind so perfekt und gelungen, dass man sich wünschte, sie könnten so erhalten bleiben.
Thomas Scheibitz: A Tribute to Hermann Glöckner. Staatliche Graphische Sammlung in der Pinakothek der Moderne, München; bis zum 11. Januar 2026. Kein Katalog.

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