Was für ein Aufhebens um das Phänomen der religiösen Indifferenz! Beinahe so, als sei Gleichgültigkeit dem Gotte gegenüber eine Perversität, auf die man erst einmal kommen müsse – eine Art Überraschungsbefund. Als trage doch jeder Mensch eine Sehnsucht nach metaphysischem Sinn in sich, die man nicht in den Wind schlägt, ohne Raubbau an seiner Natur zu betreiben. Muss man sich denn für den Glauben interessieren? Ich glaube nicht. Ist ein erfülltes Leben möglich, in dem Gott keine Rolle spielt? Ich glaube ja. Warum glaube ich dann? Die Wahrheit ist: Genau weiß ich es auch nicht.
Eine lebensweise Freundin fragte mich neulich auf Whatsapp, als wir uns über Strategien austauschten, mit denen man bei sich selbst das Gefühl der Gehaltenheit ausbilden kann: „Bist du gläubig?“. Ich weiß noch, wie verlegen mich die Frage machte. Da fühlte ich mich, obwohl gar nicht so gemeint, nach einer Kompaktheit gefragt, die ich in keinem Lebensbereich zustande bringe. Sollte mein Herumlungern im Glauben den Status „gläubig“ verdienen? Unterstellt die Frage nicht ein aktives Moment meinerseits, ungefähr so, wie man fragt: „Treibst du Sport?“ Treibe ich Glauben? Ich glaube nicht.
Mir fallen immer dieselben beiden Antworten ein, eine psychologische und eine theologische. Die psychologische Antwort auf die Frage, warum ich meine zu glauben, lautet: Es glaubt in mir. Ich habe nicht den Eindruck, als wäre ich es, der hier beständig ein Feuerchen am Brennen hielte. Umgekehrt ist die Vorstellung, den glimmenden Docht in mir auslöschen zu sollen, mit der Suggestion einer ungeheuren Kraftaufwendung verbunden. Hieße das nicht, mich selbst auszulöschen?
Den glimmenden Docht nicht auslöschen
Entlastung kommt in diesem Zusammenhang aus dem Alten Testament. Dort heißt es im ersten Lied vom Gottesknecht: „Das geknickte Rohr zerbricht er nicht, und den glimmenden Docht löscht er nicht aus.“ (Jesaja 42,3) Auch für den biblischen Gottesknecht ist der Unglaube das Unwahrscheinliche, der erst kräftezehrend herzustellen wäre, derweil der Glaube die Wahrscheinlichkeit für sich hat und Flügel verleiht: „Denn mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht“, wie es bei Matthäus 11,30 heißt. Gottesbeweise abliefern zu sollen – das liefe auf eine Beweislastumkehr hinaus. Die Mitteilung bei Johannes 6,44 muss genügen: „Niemand kann zu mir kommen, wenn der Vater, der mich gesandt hat, euch nicht zieht.“ Es glaubt in mir? Biblisch genauer: Er glaubt in mir.
Und umgekehrt: Wer sein Desinteresse am Glauben kundgibt, kann auch theologische Argumente für sich mobilisieren. Tatsächlich, vornweg gesagt, wäre ja die Theologie der Ort, um die Frage zu verhandeln, ob der Mensch auch ohne Gott – als Homo indifferens – Erfüllung zu finden vermag. Man hat diese Frage jahrhundertelang als die Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade debattiert, als einem in steter Entwicklung befindlichen, aber doch einschlägigem theologiegeschichtlichen Begriffspaar. Wie kann es sein, dass davon nun gar keine Rede mehr ist, wenn der Utrechter Pastoraltheologe Jan Loffeld die theologischen Geister mit der Nachricht aufmischt, dass (immer mehr) Menschen nichts vermissen, wo Gott fehlt?
Der Theologe Jan Loffeld (Zweiter von links) bei der deutschen BischofskonferenzVolker HasenauerFür das „individuelle Lebensglück“ falle die Gottesthese weniger ins Gewicht als früher, wie „mit Blick auf die empirischen Daten“ festgestellt werden müsse, so Loffeld auf Studientagen und anderen Veranstaltungen kirchlicher Kreise. Zum einen: wer das als Neuigkeit verkauft, gar als Neuigkeit gegen bestehende kirchliche Erwartungen, redet in einem beunruhigenden Sinne nicht ganz von dieser Welt. Zum anderen: Die theologische Rezeptur, die Loffeld an die soziologische Befunderhebung knüpft, kommt ohne Substanzanspruch daher. Man müsse die „Big Story“ des Christentums mit den „Individual Storys“ jedes Menschen verknüpfen und dabei weniger die Kirche als das Evangelium im Blick behalten. Erinnert so etwas nicht an die seit Jahrzehnten vertraute Sprücheklopferei von „Jesus ja, Kirche nein“ bis „Die Menschen dort abholen, wo sie stehen“?
„Du musst dein Leben ändern!“
Erstaunlich, dass auch Bischöfe in Loffelds Handreichungen eine Rettung vor Relevanzverlust suchen. Beim episkopalen Thema „Evangelisierung“ setzt man bei Kirchenmitgliedschafts-Untersuchungen und Statistik an und zieht Schlussfolgerungen, die sich im Denkraum von Kollektivseele und Religionsdidaktik bewegen. So kommt das Phänomen der religiösen Indifferenz schließlich nur noch als Spielball von Kontroversen um die Säkularisierung, deren Fortdauer oder Abgeschlossenheit, in den Blick. Warum interessieren sich Theologen überhaupt für das Label Säkularisierung? Warum sagen nur wenige von ihnen „So what?“ und reden über Metanoia, Umkehr, während die Psychologie unter dem Titel „Du musst dein Leben ändern!“ Bestsellererfolge landet. Warum, anders gefragt, geben sich Theologen mit inhaltlich „merkwürdig unbestimmten Theologien“ (Jürgen Habermas) zufrieden?
Anders noch Karl Rahner, der in seinem Aufsatz „Natur und Gnade“ nicht etwa mit abgedichteter Begriffsakrobatik zur Säkularisierung hantiert, sondern theologische Gründe entlang von Natur und Gnade auch für die religiöse Indifferenz erörterte – für „die moderne Uninteressiertheit an dem Übernatürlichen“. Zu diesen Gründen zähle zumal eine einseitig extrinsische, also nur von außen kommende, nicht in der menschlichen Natur schon irgendwie angelegte Gnadentheorie: „Ist es ganz abwegig, wenn man den modernen Naturalismus auch mit dieser Theorie in Verbindung bringt? Wenn man sagt, nur auf der Basis einer solchen Auffassung von Gnade habe sich die moderne Uninteressiertheit an dem Übernatürlichen entwickeln können?“ Rahner antwortete mit der Gnade in der Fassung eines „übernatürlichen Existentials“ in der menschlichen Natur selbst und veranschaulicht damit die Ebene, auf der die Thematik Homo indifferens theologisch ertragreich anzusiedeln wäre.
Warum gelingt es der aktuellen Debatte um die religiöse Indifferenz nicht, sich auf einer solchen dezidiert geistlichen Ebene zu entfalten, mit welcher Begrifflichkeit auch immer? Vielleicht weil die dafür infrage kommenden theologischen Protagonisten selbst von religiöser Indifferenz berührt sind und deshalb die geistliche Kraft nicht aufbringen, christliche Mitteilungen wie Erlösung und Auferstehung in einer theistisch konsistenten Transzendenz zu verankern? Eine Transzendenz, die im Ringschluss dann wieder fragen lässt: Wie trifft sie auf den Menschen in seiner Immanenz, oder: Wie geht Nachfolge Christi in einer Schöpfung, die „bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt“ (Römerbrief 8,22)? Der Glaube, von dem zu reden wäre, geschieht inkarnatorisch-materiell, lässt alle falsche Spiritualisierung hinter sich. Das Seufzen wäre demnach ein schon erlöstes, aber darum nicht weniger schmerzhaftes. Vom übernatürlichen Leben lässt sich blasphemiefrei nur reden, wenn man dieses elendig-frohlockende Seufzen der Kreatur im Ohr behält.
Auch Rahner wollte den Begriff der Übernatur zum Natürlichen hin dynamisiert sehen. Allzu schematisch und ohne hinreichende Akzentuierung der personalen Qualität des Glaubens schien ihm die Begrifflichkeit der Übernatur das theologische Axiom gratia supponit naturam aufzugreifen. Die Gnade setzt die Natur voraus – aber wie? Hier könnte die Theologie, von der religiösen Indifferenz ausgehend, die Rolle der religiösen Lebensführung beleuchten, mit einer Verhaltenslehre der metaphysischen Reserve begeistern. Im Sinne personalen Empowerments durch, ja, eine christologisch zentrierte Beziehungsgnade. Müsste da nicht das menschliche Herz als ihr, der Gnade, Sitz im Leben behandelt werden? Was flüstert die Gnade dem Menschen ins Herz? Und wie wird das Herz für solche Einflüsterungen aufnahme- oder abwehrbereit? Hier könnte die Theologie, wenn sie wollte, mehr Klarheit schaffen.
Woher nehme ich meine – soll ich etwa sagen? – Glaubensgewissheit, dass Mirel Misun Hodzic im Himmel ist? Hodzic war acht Jahre alt, als er am 25. Juni 1996 an einer für ihn grünen Fußgängerampel in Frankfurt totgefahren wurde. Ich bog gerade zu Fuß um die Ecke, als der Golffahrer das Rotlicht und den Jungen überfuhr. Ein unscheinbares Mahnmal mit Hodzics Lebensdaten steht im Grünstreifen neben dem Todesort. Seit damals bin ich mir sicher, an die Auferstehung der Toten zu glauben. Warum? Ich weiß es nicht genau.

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