„Rebibbia“ – der Vorort im Nordosten von Rom ist für seine Haftanstalt bekannt, der größeren und neben Regina Coeli am Tiberufer zweiten der Hauptstadt. Wer sich dem riesigen Komplex nähert, hat Mühe, ihn zu überblicken: Ein Ensemble aus zementgrauen kubischen Gebäuden, das, eingeschlossen von hohen Mauern, mit Straßen und Grünflächen ein Stadtviertel bildet. Zu literarischen Ehren ist es durch das Gefängnistagebuch „Tage in Rebibbia“ (1980) von Goliarda Sapienza gekommen, die dort wegen Diebstahls einsaß. Die Brüder Taviani haben hier „Caesar muss sterben“ gedreht, für den sie 2012 auf der Berlinale den Goldenen Bären gewannen.
Doch seit Ende November hat der Stadtteil einen eigenen Eintrag auf dem literarischen Stadtplan: In der Via Giovanni Tagliere 3 wurde die Casa Pasolini eröffnet. In dem zweistöckigen Sechs-Parteien-Haus – ockergelber Putz, grüne Fensterläden, flaches Satteldach, schmaler Vorgarten – befindet sich die erste Wohnung von Pier Paolo Pasolini in Rom. Nach dem fluchtartigen Abschied von Casarsa della Delizia, dem Heimatort seiner Mutter im Friaul, wo er wegen Verführung Minderjähriger angeklagt (und freigesprochen), als Lehrer suspendiert und aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen wurde, kam er zunächst bei einem Onkel unter und zog 1951 nach Rebibbia. Hier lebte er mit seiner Mutter Susanna Colussi, die als Lehrerin arbeitete, bis 1954.
In dieser Liga spielen wir!
Das wichtigste Exponat des Museums ist die Wohnung selbst: Zwei Zimmer, Küche, Bad, verbunden durch einen langen Gang, zwei Balkone, zusammen gut sechzig Quadratmeter. Lange seien die Räume, so berichtet die Mitarbeiterin der Initiative Passo Civico, die das Museum kuratiert, leer gestanden und, als dort Drogengeschäfte abgewickelt wurden, beschlagnahmt und versteigert worden. Der Filmproduzent Pietro Valsecchi und seine Frau Camilla Nesbitt erwarben die Immobilie 2022 und schenkten sie der Stadt. Die wiederum vertraute sie dem Kulturministerium an, das sie behutsam restaurieren ließ. „Wir unterstehen derselben Generaldirektion wie das Pantheon und die Engelsburg“, erklärt die Mitarbeiterin und fügt augenzwinkernd hinzu: „In dieser Liga spielen wir.“
Wohnzimmer in der Casa Pasolini in RebibbiaAndreas RossmannOriginale sind nicht überliefert: Keine Möbel, keine Bilder, keine Bücher, keine Reliquien. Die Ausstellungsfläche ist knapp bemessen. In dem etwas kleineren Raum stehen fünf Kinositze, auf einem Bildschirm läuft eine kurze Endlosschleife mit wichtigen Lebensstationen. Küche und Bad wurden mit historischen Geräten und Sanitäranlagen ausgestattet. Im Gang und in dem größeren Raum hängen Schwarz-Weiß-Fotos, die den Regisseur und Szenen aus seinen Filmen zeigen, darunter ikonische Aufnahmen: Pasolini im schwarzen Anzug auf einer Premiere und in weißer Badehose am Tiber, Pasolini mit Ninetto Davoli, Alberto Moravia, Corrado Cagli und Paolo Volponi, mit Claudia Cardinale und Ugo Tognazzi, mit Adriana Asti, Silvana Mangano und Laura Betti, mit Anna Magnani im Motorboot unterwegs zum Lido, Portraits von Franco Citti als Accattone und Maria Callas, die dichte Menschenmenge auf dem Campo de’ Fiori drei Tage nach Pasolinis Ermordung in Ostia. Auch Zeichnungen und kleine Gemälde sind dazwischen.
Das Weinen des Baggers
Die Eröffnungsschau trägt den Titel: „La verità non sta in un solo sogno, ma in molti sogni. Le case di Pier Paolo Pasolini a Roma“ (Die Wahrheit ist nicht in einem einzigen Traum, sondern in vielen Träumen. Pier Paolo Pasolinis Häuser in Rom). Auf einem Stadtplan sind seine Wohnorte und die Schauplätze seiner Filme markiert. Rebibbia war Pasolinis erster Kontakt mit Rom, „dem großen Bauch, der alles verschlingt“, hier ist er Römer geworden: „Ach, Tage von Rebibbia, die ich in einem Licht der Notwendigkeit für verloren hielt. Und die ich jetzt als so frei erkenne (...) Sanftmütig, gewalttätig revolutionär im Herzen und in der Sprache. Ein Mann blühte auf“, charakterisiert er das lyrische Ich in dem Langgedicht „Il pianto della scavatrice“ (Das Weinen des Baggers, 1956).
Der Stadtteil wurde erst Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts angelegt und entwickelt, Angestellte und Handwerker mit ihren Familien zogen hierher, Ende der Dreißigerjahre wurden Heimkehrer aus dem Abessinienkrieg angesiedelt: Eine „borgata“ am Stadtrand, aber nicht an jener Peripherie, die Pasolini faszinierte, mit dem Milieu des Subproletariats, das in Slums und unter den Arkaden von Aquädukten hauste, und der „verzweifelten Vitalität“ von Halbwüchsigen, auf die sich sein erotisches Begehren und seine revolutionären Hoffnungen richteten. Der Lockenkopf Riccetto, Protagonist der „Ragazzi di vita“, wohnte hier nicht.
So sah es wahrscheinlich zur Zeit von Pasolini aus: Blick in die Küche der Casa PasoliniAndreas Rossmann„Wir wohnten in einem Haus ohne Dach und ohne Putz, / einem Armenhaus am äußersten Stadtrand, in der Nähe eines Gefängnisses. / Im Sommer lag dort eine Handbreit Staub, im Winter ein Sumpf. / Aber es war Italien, das nackte, pulsierende Italien, / mit seinen Jungen, seinen Frauen, / seinen ‚Düften von Jasmin und einfachen Suppen‘, / den Sonnenuntergängen über den Feldern des Aniene, den Müllhaufen: / und, was mich betrifft, meinen ungebrochenen Träumen von Poesie“, schreibt Pasolini in dem Gedicht „Poeta delle ceneri“ (Dichter der Asche, 1966) über Rebibbia. „Haus ohne Dach und ohne Putz, (…) Armenhaus“, das nimmt darauf Bezug, dass das Haus beim Einzug noch nicht ganz fertig war; die Anlage der Straßen und die kleinteilige Bebauung aber legen nahe, dass in Rebibbia keine Baracken und Hütten standen. Die Wohnung mit ihren gut geschnittenen und hellen Räumen, den weißen Wänden, der sparsamen Möblierung und dem – wie oft in Italien – feinen Design der Terrazzoböden gibt Auskunft über die sachlich-formschöne Architektur der Nachkriegszeit wie einen Eindruck von der Abgeschiedenheit und Ruhe des Ortes. In Rebibbia hat Pasolini seinen Debütroman „Ragazzi di vita“ (1955) und den Lyrikband „Gramscis Asche“ (1957) geschrieben. Es waren die Jahre vor dem Ruhm.
Etwas abgelegen wirkt Rebibbia auch heute. An einem Samstagnachmittag macht der Ort einen ausgestorbenen Eindruck, in der Parkanlage neben der Endhaltestelle lungern lichtscheue Dealer, die zum Ausgehen geschminkten Frauen auf dem Bürgersteig sprechen Russisch, das Obst kostet nicht halb so viel wie im Zentrum. Vor der Casa Pasolini hat sich eine Schlange gebildet. In der Bar an der Ecke freut sich die junge Besitzerin, dass ein paar Kunden mehr kommen, der Caffè kostet einen Euro. Gegenüber soll eine alte Dame wohnen, die sich an Pasolini erinnern kann, aber um diese Zeit ist sie nicht zu sprechen. Rechts die Straße hinunter sind die grauen Mauern des Gefängnisses zu sehen; links steht gleich neben dem Haus, unscheinbar und erst auf den zweiten Blick zu erkennen, eine Kapelle: „Gottesdienst täglich um 17 Uhr.“ Pasolini zwischen Knast und Kirche.
Casa Pasolini, Via Giovanni Tagliere 3, 00156 Roma, geöffnet von Donnerstag bis Sonntag. Die Ausstellung „Pasolinis Häuser in Rom“ ist bis zum 1. März zu sehen. Eintritt frei.

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