An der Darstellung einer Vergewaltigung auf offener Bühne kann sich ein Regisseur heute die Finger verbrennen, zumal wenn sie durch die Partitur detailgenau vorgegeben ist, mit feixenden und johlenden Umstehenden und einer krass illustrativen Musik, die den Zuschauer zum voyeuristischen Komplizen macht. Im Fall der missbrauchten Köchin im Hause des Kaufmanns Boris Ismailow zieht sich der Regisseur Vasily Barkhatov geschickt aus der Affäre, indem er ein halbes Dutzend Köche mit steif gebügelten Gault-Millau-Mützen aufmarschieren lässt, die samt weiterem weiß gekleidetem Küchenpersonal diffus am Opfer herumzupfen, was der unappetitlichen Szene einen Zug ins Absurde, wenn nicht brutal Komische verleiht.
Die Szene ist charakteristisch für die Inszenierung von Dmitri Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“, mit der nun die neue Spielzeit der Mailänder Scala eröffnet wurde. Alle wichtigen Bühnenrollen sind mit russischsprachigen Sängern besetzt, und gespielt wird, wie heute üblich, die 1934 in Leningrad uraufgeführte Urfassung des Werks. So gab es in Mailand das ganze Spektrum an menschlicher Niedertracht zu sehen, das in der geglätteten Zweitfassung von 1963 durch Schostakowitsch unter dem Druck der Zensur weitgehend neutralisiert wurde.

Mit der Geschichte von der Kaufmannsfrau Katerina Ismailowa, die aus sexueller Hörigkeit zum Nichtsnutz Sergej ihren Ehemann und ihren Schwiegervater ermordet und schließlich auf dem Weg nach Sibirien zugrunde geht, setzten Schostakowitsch und sein Librettist Alexander Preis auf volle Provokation, was ihnen seinerzeit einen Riesenerfolg bescherte; die erwähnte Vergewaltigung wurde übrigens von ihnen erfunden, sie kommt in der dem Stück zugrunde liegenden Erzählung von Nikolaj Leskow nicht vor.
Barkhatov rückt in seiner Inszenierung die Zuschauer auf Distanz zum Geschehen, und zugleich vermag er ihre Aufmerksamkeit mit glänzenden Bühneneinfällen zu fesseln. Er hält sich an Schostakowitschs Charakterisierung der Oper als „tragedija-satira“ und setzt bei musikalisch grell überzeichneten Passagen szenisch gern noch einen drauf. Bei der heuchlerischen Totenfeier für Boris, den die Schwiegertochter per Rattengift ins Jenseits befördert hat, lässt er die Blechbläser für ihren schrillen Choral in festlich blitzenden, von Olga Shaishmelashvili entworfenen Paradeuniformen auf der Bühne aufmarschieren, und der dauerbesoffene Pope (Valery Gilmanov) entpuppt sich, besonders tricky, plötzlich als einer der ominösen Köche.
Mit Anspielung auf Shakespeares „Macbeth“
Die lineare Handlung wird von ihrem Ende her erzählt. Zu Beginn sitzt die Doppelmörderin Katerina vor geschlossenem Vorhang an einem Tisch einem Polizeioffizier gegenüber, der sie erkennungsdienstlich behandelt und ihre Schilderungen der Langeweile und der seelischen Vereinsamung protokolliert. Die Szene wiederholt sich mit ihr und ihrem mörderischen Komplizen Sergej als Zeugen mehrfach. Begünstigt werden solche Verfahren durch die mobile Bühnenarchitektur von Zinovy Margolin. Sie stellt das großzügige Interieur eines Herrschaftshauses dar und erlaubt mit ihren massiven, beweglichen Aufbauten simultane Handlungen auf zwei Ebenen.
Dieses Bühnenbild schafft auch die Voraussetzung für ein spektakuläres Ende der Oper. Durch die Wand des permanent sichtbaren, weit in den Bühnenhintergrund reichenden Bankettsaals – eine Anspielung auf Shakespeares „Ur-Lady“ – bricht mit Gewalt ein Armeelaster, der Katerina und Sergej zusammen mit weiteren Delinquenten nach Sibirien transportiert. Der Situation angemessen reißt Katerina ihre Rivalin nicht in die kalten Fluten der Wolga, sondern übergießt beide mit Benzin. Das Schlussbild zeigt sie, wie sie als lebende Fackeln über die Bühne taumeln.
Vergewaltigung als nachgestellter Tathergang
Der großräumig angelegte Bankettsaal war zuvor auch Schauplatz einer weiteren monströsen Vergewaltigung, mit der sich Sergej die liebeshungrige Katerina sexuell gefügig macht. Die Regie schafft hier reflexive Distanz und spitzt die Perfidie zugleich zu, indem die Szene als Kriminalfall nachgestellt und von den Untersuchungsbeamten mit Kamera und Notizblock bürokratisch genau dokumentiert wird: die Frau als scharf beobachtetes Sexualobjekt – ein Dispositiv wie am Set eines Pornofilms, aus Rücksicht auf das Publikum aber in Kleidern. In solchen Momenten stellen sich einige unbequeme Fragen.
Bei der verstandesmäßig kalten Darstellung zielt die lärmende, aufpeitschend realistische Musik ins Leere, ihr Illustrationismus wirkt billig. Man kann zwar auch in Mailand Schostakowitschs großartiges Handwerk bewundern, die raffinierte Satztechnik, die virtuose Stilmontage, den zielgerichteten Spannungsaufbau, der den routinierten Filmkomponisten verrät, und sich über die karikierenden instrumentalen Effekte amüsieren, die durch die Verdoppelung der Bühnenaktion oft Slapstickqualitäten haben.
Doch im Overkill der rücksichtslos auftrumpfenden Musik scheint sich etwas vom Fortschrittspathos der frühen 1930er-Jahre zu artikulieren, als sich die junge Sowjetunion Natur- und Menschenmaterial mit Brachialgewalt zu unterwerfen begann. Riccardo Chailly und das grandios aufspielende Orchester tun sich hingegen keinen Zwang an und lassen es effektsicher krachen. Andererseits werden die leisen, nachdenklichen Momente, die es zum Glück auch gibt, von Orchester und Chor mit großer Sensibilität nachgezeichnet.
Für den einhelligen Publikumserfolg standen nicht zuletzt die hervorragenden Solisten: Alexander Roslavets als herrisch-brutaler Boris Ismailow, Yevgeni Akimov als dessen verweichlichter Sohn Sinowi und der tenorale Kraftprotz Najmiddin Mavlyanov in der Rolle des Sergej. Vor allem aber Sara Jakubiak, die mit ihrer wunderbar beweglichen und ausdrucksstarken Stimme der Hauptfigur, halb Verbrecherin, halb Opfer, ein sehr menschliches Profil verlieh. Die Attraktivität von Schostakowitschs Gruselstück bleibt ungebrochen. Es ist wohl die Faszination des Bösen, die den Theaterbesucher in Atem hält.

vor 2 Tage
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