Krieg gegen die Ukraine: Ukraine spricht von erfolgreichen Gegenangriffen in Charkiw

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Im November meldete Russlands Militär die vollständige Einnahme der Stadt Kupjansk. Die Ukraine will russische Truppen dort nun isoliert haben. Selenskyj ist vor Ort.

12. Dezember 2025, 16:54 Uhr

 Wolodymyr Selenskyj besuchte an diesem Freitag Kupjansk – zwei Wochen, nachdem Russland die vollständige Eroberung der Stadt gemeldet hatte.
Wolodymyr Selenskyj besuchte an diesem Freitag Kupjansk – zwei Wochen, nachdem Russland die vollständige Eroberung der Stadt gemeldet hatte. © Ukrainian Presidential Press Service/​Reuters

Die Ukraine hat nach Angaben ihres Militärs und mehrerer Militärblogger Teile der seit Monaten umkämpften Stadt Kupjansk in der nordöstlichen Region Charkiw zurückerobert. Ukrainischen Einheiten sei "ein Vorstoß zum Oskil-Fluss (gelungen), wodurch die Versorgungsrouten des Feindes nach Kupjansk vollständig unterbrochen wurden", teilte das 2. Korps der ukrainischen Nationalgarde mit, dem mehrere Brigaden angehören. Im Zuge der Kämpfe seien mehrere Dörfer in der Nähe der Stadt sowie mehrere Stadtteile im Norden von Kupjansk befreit worden. 

"Heute können wir sagen, dass die Russen in der Stadt vollständig abgeschnitten sind", sagte Ihor Oboljenskyj, der Kommandeur des 2. Korps, der Zeitung Ukrajinska Prawda. Demnach sollen etwa 200 russische Soldaten in der Stadt verblieben sein. Sie würden inzwischen ausschließlich durch Drohnen mit Nachschub versorgt. In der Stadt mit einer Vorkriegsbevölkerung von mehr als 25.000 Menschen sollen sich demnach noch etwa 500 Zivilisten aufhalten. "Im Stadtzentrum halten die Kämpfe an, doch anschließend wird Kupjansk vollständig befreit werden", sagte Oboljenskyj. 

Damit bestätigte die Armee Berichte von Militärbloggern über eine erfolgreiche Gegenoffensive in der Nähe der Stadt. Die gut im Militär vernetzte Beobachtergruppe DeepState hatte kurz zuvor am Freitagmorgen von einer Rückeroberung mehrerer Dörfer bei Kupjansk sowie von Teilen der Stadt berichtet. Nach den Informationen der Gruppe sollen etwa 40 Quadratkilometer in dem Gebiet befreit worden sein. Damit handelt es sich um die erfolgreichste ukrainische Rückeroberung, seit es der Ukraine im Herbst gelungen war, einen russischen Vorstoß nordöstlich von Pokrowsk zurückzudrängen und knapp 100 Quadratkilometer zurückzuerobern. 

Russische BefestigungsanlagenRussische Kontrolle Vortag seit Kriegsbeginn vor KriegsbeginnZurückerobert Vortag seit Kriegsbeginn Zusätzl. erobertQuelle: Institute for the Study of War, AEI Critical Threats Project

Selenskyj widerspricht in Kupjansk russischen Erfolgsmeldungen

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj berichtete ebenfalls von Erfolgen bei den Kämpfen um die Stadt. "Die Russen reden viel über Kupjansk", sagte Selenskyj in einer kurzen Videoansprache, die ihn vor einer Stele an der südwestlichen Einfahrt nach Kupjansk zeigte. Der Ort, an dem das Video aufgenommen ist, liegt etwas mehr als einen Kilometer westlich von Positionen, die nach Angaben ukrainischer Militärblogger weiterhin unter russischer Kontrolle sein sollen. 

Mit seiner Aussage bezog sich Selenskyj auf mehrere russische Meldungen, die von der Militärführung in Moskau in den vergangenen Wochen ausgegangen waren und in denen sie von einer katastrophalen Lage ukrainischer Soldaten in Kupjansk gesprochen hatte. So hatte etwa Russlands Generalstabschef Waleri Gerassimow bereits Ende Oktober in einer im Fernsehen übertragenen Lagebesprechung mit Präsident Wladimir Putin behauptet, in Kupjansk seien 5.000 ukrainische Soldaten "eingekesselt". Die Ukraine widersprach diesen Angaben, auch unabhängige Beobachter zogen sie in Zweifel.

Am 27. November sprach Putin schließlich von einer erfolgreichen "Liquidierung" der ukrainischen Truppen in der Stadt. Kupjansk sei "vollständig in unserer Hand", sagte er russischen Medien. Wenige Tage später legte der russische Staatschef nach: Am 2. Dezember lud er internationale und ukrainische Journalisten nach Kupjansk ein, um sich der russischen Kontrolle über die Stadt zu vergewissern. Auch mehrere russische Militärblogger hatten in den vergangenen Wochen nicht nur die Meldungen der Militärführung über Kupjansk, sondern auch Angaben über die angeblich vollständige Eroberung von Pokrowsk angezweifelt und die Armee beschuldigt, ihre Erfolge zu überzeichnen. 

Selenskyj dürfte diesen Eindruck mit seinem Besuch in der Frontstadt bekräftigen wollen – auch vor dem Hintergrund der laufenden Gespräche mit den USA über deren 28-Punkte-Plan für ein Kriegsende. "Ergebnisse an der Front zu erzielen ist heute entscheidend, damit die Ukraine Ergebnisse in der Diplomatie erzielen kann", sagte der ukrainische Präsident in der Videoansprache. US-Präsident Donald Trump hatte zuvor in einem Interview gesagt, er sehe Russland gegenüber der Ukraine bei den Kämpfen und dadurch auch in den Verhandlungen um ein Ende des Krieges im Vorteil. Selenskyj müsse "realistisch sein", forderte der US-Präsident.

Stadt mit symbolischer und militärischer Bedeutung

Kupjansk war kurz nach Beginn der russischen Invasion erobert, von der Ukraine bei ihrer Charkiw-Offensive im Herbst 2022 aber wieder befreit worden. Ein Jahr später näherten sich russische Truppen der Stadt erneut, vor wenigen Monaten sind sie in Kupjansk eingedrungen. Die Ukraine berichtete seitdem mehrfach von Gegenangriffen mit dem Ziel, die russischen Truppen aus der Stadt zu verdrängen oder vom Nachschub abzuschneiden. Die russischen Soldaten in der Stadt werden bislang hauptsächlich über den Oskil-Fluss östlich der Stadt versorgt. 

Würde Kupjansk komplett an Russland fallen, wäre die Versorgung ukrainischer Einheiten, die mehrere Hundert Quadratkilometer östlich des Flusses halten, gefährdet. Russland hätte mit Kupjansk wiederum einen größeren Brückenkopf auf der westlichen Seite des Flusses, was zu weiteren Angriffen in der Region Charkiw führen könnte. Das Gebiet gehört nicht zu den von Russland 2022 annektierten Regionen und wird zu 95 Prozent von der Ukraine kontrolliert.

Russische BefestigungsanlagenRussische Kontrolle Vortag seit Kriegsbeginn vor KriegsbeginnZurückerobert Vortag seit Kriegsbeginn Zusätzl. erobertQuelle: Institute for the Study of War, AEI Critical Threats Project

Laut einer Fassung des US-Plans, von der ukrainische und US-Medien berichten, gehören die von Russland kontrollierten Teile der Region zu den wenigen Gebieten, aus denen sich Russland bei einer Einigung zurückziehen müsste. Als Voraussetzung dafür gilt ein Abzug der Ukraine aus dem Rest der Region Donezk, was die Regierung in Kyjiw bisher ausschließt. 

Am Donnerstag zweifelte Selenskyj die jüngsten US-Vorschläge an, wonach das Gebiet von der Ukraine geräumt, nicht aber von russischen Truppen besetzt werden solle: Es sei unklar, wie dies durchgesetzt werden könne, sagte er ukrainischen Medien. Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow teilte daraufhin mit, selbst bei einer Zustimmung Russlands zu dem Vorschlag werde das Gebiet von der russischen Nationalgarde – und damit einem militärischen Verband – gesichert.

Russland und Ukraine heben jeweils eigene Erfolge hervor

Im Zuge der Verhandlungen um eine mögliche Endfassung des US-Plans, der die Zustimmung der Ukraine und ihrer europäischen Unterstützer hätte, hatte das zuletzt gewachsene russische Vormarschtempo den Druck auf die Ukraine erhöht, einer Lösung auch zu ungünstigen Bedingungen zuzustimmen. Gebe die Ukraine den Donbass nicht auf, werde Russland ihn erobern, sagte Putin Ende November. Weil diese Gebiete besonders gut befestigt sind, gilt es als unwahrscheinlich, dass das russische Militär das Gebiet innerhalb nur weniger Monate erobert. 

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