Design im „Dritten Reich“: Heinrich Himmler suchte nach  systemkonformen Weihnachtsgaben

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Am Beginn stehen in locker arrangierten, hell ausgeleuchteten Vitrinen geradezu tänzelnde Objekte mit den typisch quicklebendigen Formen, kunterbunten Farben und pulsierenden Mustern des Art Déco. Das ist die Vor­geschichte, doch an der Stirnwand dieses lebensfrohen Entrées zur Ausstellung „Formen der Anpassung“ stehen Sätze, die ahnen lassen, was kommen wird: Verlautbarungen – nein: Drohungen aus jenem chauvinistischen Sumpf, der schon während der Weimarer Republik Anlauf nahm zu einer Gleichschaltung des Geschmacks, den dann der Nationalsozialismus betreiben sollte. Die Sätze aus Kampfschriften von Ideologen wie Al­fred Rosenberg oder Paul Schultze-Naumburg sind im nun einsetzenden Schummerlicht der Schau zwar kaum zu lesen, sie dämmern herauf aus dem Dunkel der Wandfarbe, müssen erst mühsam entziffert werden vom Besucher, doch sie sind unzweideutig in ihrer Ablehnung all dessen, was Kunst an Aufklärung verheißt. Oder auch das Kunst­gewerbe.

Um Letzteres geht es hier im Leipziger Grassimuseum, das sein eigenenes Art-Déco-Gebäude, eines der schönsten der Republik, erst seit vier Jahren nutzte, als Hitler 1933 Reichskanzler wurde. Und ein Jahr später war Hitler dann auch selbst im Haus: am 6. März 1934, als er wegen des Grundsteinlegung eines (dann nie ­erbauten) gigantischen Denkmals für ­Richard Wagner in dessen Geburtsstadt Leipzig weilte. Der Mittagsempfang des Oberbürgermeisters für den Reichskanzler fand im Museumskomplex satt, und einige Kunsthandwerker der dort gleichzeitig ausgerichteten Grassimesse überzeugten Hitler mit einem Silberteller-Präsent, das von zwei besonders „arisch“ aus­sehenden Ausstellerinnen überbracht wurde, davon, ihre Veranstaltung spontan zu besuchen. Die seit 1920 zweimal jährlich hier aus­gerichtete Leistungsschau des Kunstgewerbes hatte sich wegen des scharfen Auswahlverfahrens den Ruf der bedeutend­sten Veranstaltung ihrer Art in Deutsch­land erworben.

Hitlers Pomp passte nicht zum behaupteten Stil-Ideal

Das wusste auch Hitler, der sich deshalb nicht lange bitten und bestechen ließ, und die Gelegenheit für eine programmatische Erklärung vor den Ausstellern nutzte: „Ich sehe es als die wichtigste Aufgabe an, eine Form zu finden, die den Forderungen der Gegenwart nach Einfachheit und Schlichtheit gerecht wird und zugleich eine würdige Haltung bewahrt. Das ist die wichtigste Aufgabe für das Kunsthandwerk.“ Der ­dokumentierte eigene Pomp des Besuchs konterkarierte diese Aussage, aber die „Deutsche Goldschmiede-Zeitung“ berichtete in ihrem Bericht vom Besuch: „Jubel begrüßte ihn, wohin er auch kam.“

 Diesen Wandbehang von Valerie Jorud kaufte das Museum wohl auf der Grassi-Herbstmesse des Jahres 1935 an.Keine Spur von NS-gefälligem Design: Diesen Wandbehang von Valerie Jorud kaufte das Museum wohl auf der Grassi-Herbstmesse des Jahres 1935 an.GRASSI Museum für Angewandte Kunst

Man darf allerdings vermuten, dass die Berliner Silberschmiedin Emmy Roth als Stammgast der Grassimesse nicht in den angeblich allgemeinen Jubel eingestimmt haben wird. Sie war Jüdin, und es sollte ihr letzter Auftritt in Leipzig sein, denn noch 1933 emigrierte sie nach Frankreich, bevor sie schließlich in Palästina Zuflucht fand, wo sie ihrem Leben 1942 ein Ende setzte. Und neben ihr gab es zahlreiche andere Aussteller, die gewusst haben dürften, was ihnen von Hitler und Genossen blühte: Die bislang auf den Grassimessen vorherrschende moderne Formensprache, wie sie das Bauhaus zur Vollendung gebracht hatte, war den neuen Machthabern ein Feindbild, sie wollten es wahlweise klassizistisch, urförmlich oder völkisch. Fortan fand hinter den Kulissen des Museums ein Abwehrkampf statt. Selbst nach Hitlers Besuch etwa war die jüdische Textilgestalterin Valerie Jorud auf beiden Grassimessen des Jahres 1935 vertreten, und das Museum kaufte Arbeiten von ihr an. Gleichzeitig wurde Kunsthandwerk mit Hitler-Porträts erworben. Die Ambivalenz zeigt sich in den Bestandslisten.

Das Museum will vorsichtig sein bei dieser Präsentation

Und im doppelsinnigen Titel der jetzigen Ausstellung „Formen der Anpassung“ arbeitet die Grassimuseum-Geschichte im Nationalsozialismus vorbildlich, nämlich schonungslos, auf, doch Kurator Frank Werner leistet noch viel mehr: einen generellen Überblick zum Kunstgewerbe im „Dritten Reich“. Das verlangt dem ver­anstaltenden Museum außer der eigenen Verstrickungsanalyse einen weiteren ­hohen Preis ab: ungewöhnliche Vorsichtsmaßnahmen. „Wir bitten Sie, auf das Fotografieren nationalsozialistischer Symbole zu verzichten“, steht am Eingang, obwohl es gar nicht viel Derartiges zu sehen gibt (etliches Nazistische wurde nach Kriegsende wieder aus der Sammlung ausgesondert, anderes überarbeitet, so dass nur noch Spuren oder Fehlstellen der Symbole auszumachen sind), und das Aufsichts­personal ist für Grassi-Verhältnisse sehr aufdringlich, weil offenbar vorab sensibilisiert für das Risiko, das diese Ausstellung darstellt.

Im Jahr 1933 wurde alles anders, und Ludolf Buuk aus der Werkstatt des Renommier-Eisenschmieds Siegfried Prütz arbeitete denn auch sofort die einschneidende Zahl in ein Ziergitter ein.Im Jahr 1933 wurde alles anders, und Ludolf Buuk aus der Werkstatt des Renommier-Eisenschmieds Siegfried Prütz arbeitete denn auch sofort die einschneidende Zahl in ein Ziergitter ein.GRASSI Museum für Angewandte Kunst

Zugleich bietet sie einen gewaltigen Erkenntnisgewinn, vor allem, wenn man den begleitenden Katalog und die schon vor zehn Jahre erschienene Museums­chronik des Grassi über die Jahre 1930 bis 1945 studiert. Dann werden Kontinuitäten im Guten wie im Bösen deutlich: einerseits die Fortdauer vieler Designprinzipien der Weimarer Republik, mit der die willfährige Fachpresse Lügen gestraft wird, die 1937 angesichts einer Präsentation sächsischen Kunsthandwerks auf der damaligen Grassimesse festgestellt hatte, auf diesem Feld sei niemals der „Unsinn der entarteten Kunst der Systemzeit mitgemacht“ worden. Und andererseits die Indienststellung einer ästhetischen Gattung für die staatliche Repräsentation, mit der große Teile der durch die Weltwirtschaftskrise arg gebeutelten Kunsthandwerkerschar für das NS-System gewonnen wurden.

Himmler setzte auf Gemütsgeschenke für seine SS

Für „Kunst am Bau“ etwa, die dezidiert auch Kunsthandwerk umfasste, mussten seit 1934 bei öffentlichen Projekten zwischen 2,5 und 10 Prozent der Gesamtkosten aufgewendet werden. Und Heinrich Himmler ließ in den drei Jahren vor Kriegsbeginn in der bayerischen Porzellanmanufaktur Allach 200.000 Jul-Leuchter herstellen, die in den Familien von SS-Angehörigen systemkonform atheistische Festtagsstimmung verbreiten sollten: „Gerade die Frau will ja, wenn sie den Mythos der Kirche verliert, irgend etwas anderes haben, was sie und das Gemüt und Herz des Kindes ausfüllt.“ Über die Produktionsbedingungen solcher Objekte gibt dann der bedrückende Ausstellungsteil zur Zwangsarbeit im NS-Staat Auskunft.

Man sieht in Leipzig immer wieder Meisterhaftes neben Schauerhaftem, etwa bei den damals besonders beliebten Wandteppichen oder auch in der Gefäßproduktion, bei der der berühmte Gestalter Hermann Gretsch das von ihm 1932 entwickelte anheimelnde Teekannen­modell 1382 bis zu seinem Tod 1950 durch alle politischen Systeme fortführen konnte – und darüber hinaus, wie das erst 1935 von Max Richter entworfene Blaublütendekor zeigt, das auch noch die Nachkriegsteekanne im Büro des Berichterstatters aufweist.

Formen der Anpassung – Kunsthandwerk und Design im Nationalsozialismus. Im Grassimuseum für Angewandte Kunst, Leipzig; bis zum 12. April 2026. Der herausragend materialreiche Katalog, der noch weit über die Ausstellung hinausgreift, ist im Hirmer Verlag erschienen und kostet 45 Euro.

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