Zur Wehrdienst-Debatte, die Deutschland die vergangenen Monate umgetrieben hat, möchte Schmidt sich äußern, weil sie findet, dass zu wenig Frauen zu Wort kommen. Und weil sie sich Sorgen macht, dass die Wehrpflicht wieder eingeführt wird.

Sie würde selbst niemals eine Waffe in die Hand nehmen, sagt Schmidt, geboren 2004, in diesem Gespräch gleich mehrmals, und dass man niemanden, auch keinen Mann, dazu zwingen sollte. Mehrmals räumt sie aber auch ein, dass sie auch nicht weiß, wie man das Personalproblem der Bundeswehr lösen solle, aber „so auf jeden Fall nicht“. Und dann erklärt sie, dass ihre negative Einstellung zur Bundeswehr nicht nur aus einem tiefen Pazifismus heraus kommt. Ihr fehlen auch weibliche Vorbilder. Soldatinnen auf Berufsorientierungsmessen, Soldatinnen auf Social Media, Soldatinnen in der Popkultur.
Das Problem ist: Die Frauen wollen nicht zur Bundeswehr
Die Bundeswehr ist noch immer ein von Männern dominiertes Universum. Von den knapp 182 000 aktiven Soldatinnen und Soldaten sind nicht einmal 14 Prozent Frauen. So steht es im neusten Jahresbericht der Wehrbeauftragten Eva Högl. In den vergangenen zehn Jahren ist der Frauenanteil nur um knapp drei Prozent gestiegen.
Dass es schwierig ist, dieses Ungleichgewicht zu beseitigen, zeigt eine im Oktober erschienene Forsa-Umfrage: Nur zehn Prozent der Frauen im Alter von 14 bis 29 Jahren können sich eine Karriere bei der Bundeswehr vorstellen. In der Bevölkerungsumfrage des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) sind es sogar nur fünf Prozent. Dabei versucht die Bundeswehr gerade sie mit gezielter Werbung wie „After-Work-Mädelsabenden“ zu erreichen. Das Problem ist: Die Frauen wollen nicht.
Von Anfang des kommenden Jahres an werden nun alle Menschen zu ihrem 18. Geburtstag Post von der Bundeswehr bekommen. Die Post, die Emma Schmidt so absurd findet. Männer müssen Auskunft geben, ob sie sich prinzipiell vorstellen könnten, zur Bundeswehr zu gehen. Antworten sie nicht, droht ihnen ein Bußgeld. Frauen müssen nicht antworten. Die Bundeswehr hofft, dass sich so möglichst viele junge Menschen freiwillig melden, denn aktuell fehlen ihr etwa 80 000 Soldatinnen und Soldaten. „Ich verstehe schon, dass Deutschland sich verteidigen können muss“, sagt Schmidt, aber um junge Menschen anzuziehen, müsse die Bundeswehr einfach attraktiver werden.
So wie Emma Schmidt sehen es viele junge Frauen. Eine Umfrage des Markt- und Sozialforschungsunternehmen Ipsos aus dem Juli dieses Jahres zeigt, dass Frauen die Wehrpflicht kritischer sehen als Männer. Das mag auch damit zusammenhängen, dass Frauen, die tatsächlich vor Ort sind, die Bundeswehr als Arbeitgeber im Allgemeinen schlechter bewerten. In der Bevölkerungsumfrage des ZMSBw gaben 69 Prozent der Frauen (und 62 Prozent der Männer) an, dass die Bundeswehr ein unattraktiver Arbeitgeber ist.
Der Frauenanteil in der Bundeswehr-Reserve liegt bei gerade einmal acht Prozent
Eine, die sich trotzdem für die Bundeswehr entschieden hat, ist Léocadie Reimers. In Jeansbluse und Jeanshose kommt sie an einem Dezemberabend in die Redaktion, eine selbstbewusste 24-Jährige mit langen dunkelblonden Locken. Sie studiert im Master internationale Sicherheit, arbeitet bei einem Start-up, das sich mit Verteidigungsfragen beschäftigt und dient parallel dazu als Reservistin bei der Marine. Ihre ersten Erfahrungen hat sie beim Heer gesammelt, unter anderem bei der Artillerie. Schon vor dem Gespräch, im Aufzug, fängt Reimers an zu erzählen. Von einer Konferenz zum Thema Verteidigung, auf der sie kürzlich war – nicht als Expertin, aber wer weiß, vielleicht ja irgendwann einmal.

Reimers weiß ziemlich genau, wo sie hinwill, das merkt man beim Zuhören schnell. Etliche Gespräche habe sie geführt, um die perfekte Stelle als Reservistin zu finden, sagt sie. Unter den Reservisten ist sie eine von sehr wenigen Frauen. Insgesamt gibt es knapp 49 000 Menschen, die aus der Bundeswehr ausgeschieden sind, bei Bedarf aber eingesetzt werden können. Nur etwa 4100 von ihnen, also etwa acht Prozent, sind Frauen. Auch diese Zahl steht im Jahresbericht der Wehrbeauftragten, und auch sie, schreibt Eva Högl, soll wachsen.
Mehr als 70 Tage hat Léocadie Reimers in diesem Jahr auf dem Schiff, in der Kaserne und auf Truppenübungsplätzen verbracht. Dafür sind Semesterferien draufgegangen, die Überbrückungszeit zwischen zwei Jobs, Urlaubstage. Eine Pause vom eigenen Leben, sagt sie zu der Zeit in der Truppe. Und dass sie immer sehr glücklich ist, wenn sie dort sein kann.
Mit 17, nach dem Abitur, während ihre Freundinnen Reisen ins Ausland planten, hat Léocadie Reimers ihren freiwilligen Wehrdienst absolviert. Sie schwärmt davon, als würde sie in der Marketingabteilung der Bundeswehr arbeiten: „Tolle Menschen aus ganz Deutschland kennenlernen, endlich Struktur und Ordnung lernen, frische Luft und Sport und dazu noch ein super Gehalt.“
Vollzeit-Soldatin wollte sie trotzdem nicht werden, erst mal studieren und Erfahrungen sammeln. „Im Studium habe ich die Arbeit bei der Bundeswehr sehr vermisst“, sagt sie. Deshalb die Reservisten-Stelle. In der Situation, in der sich Deutschland befinde, sei sie darüber auch ziemlich froh. Mit der ‚Situation‘ meint Reimers die Invasion Russlands in die Ukraine, die sich kommenden Februar zum vierten Mal jährt. Und die letztlich den Anlass gegeben hat für die Debatte um Wehrdienst und Wehrpflicht in Deutschland.
Freiheit habe einen Preis, findet die Reservistin
Wehrfähig zu sein, sich als Land vor einem Aggressor verteidigen zu können, das ist der Kern des Ganzen, deshalb wurde die Wehrpflicht 1956 eingeführt, deshalb hält sich die Bundesregierung 80 Jahre später die Einführung einer Bedarfs-Wehrpflicht offen.
Reimers regt die ganze Debatte auf. Die Frage sei von Anfang an nicht Wehrpflicht – ja oder nein, sondern Wehrpflicht – wie. Ihr signalisiere das neue Wehrdienst-Modernisierungsgesetz mit einer Musterung erst einmal nur für Männer: Frauen können es nicht. Dabei habe sie in der Grundausbildung ganz andere Erfahrungen gemacht. Etliche Male habe ihr Ausbilder vor ihrem Zug mit 50 Soldaten und Soldatinnen gestanden und gesagt: Die Frauen ziehen diesen Zug! Was genau er damit meinte? Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Ordnung, sagt Reimers. „Und beim Schießen sind wir präziser und viel sparsamer als die Jungs.“ Die Jungs. Über die muss man wohl auch sprechen, wenn es um die Mädels geht. Hat sich jemals jemand abfällig geäußert? Anzüglich? Anmaßend? Nie, sagt die Reservistin.
Die Wehrbeauftragte Eva Högl hat Verstößen gegen die sexuelle Selbstbestimmung in ihrem Jahresbericht ein ganzes Kapitel gewidmet. 48 Mal wurde sexualisiertes Fehlverhalten im vergangenen Jahr gemeldet. In 376 Fällen liefen Ermittlungen wegen des Verdachts auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Kann schon sein, sagt Reimers, dass Sexismus und Diskriminierung dazu beitragen, dass Frauen ungern zur Bundeswehr gehen, aber noch mal: Sie selbst habe das nie erlebt. Und eigentlich soll es ja um die Wehrpflicht gehen. Um Freiheit, die nun mal einen Preis habe, und um Verantwortung, die jeder, der Teil dieser Gesellschaft sei, übernehmen müsse. „Mach’s doch einfach, dann sind wir deutlich abschreckender“, sagt sie in Richtung junger Frauen wie Emma Schmidt, die die Bundeswehr nur aus der Popkultur und vom Hörensagen kennen. Und die so viel Angst vor Krieg haben, dass sie gar nichts damit zu tun haben wollen.

:So soll der neue Wehrdienst aussehen
Von Anfang 2026 an bekommen junge Männer und Frauen Post von der Bundeswehr. Wie läuft die Musterung ab? Was verdienen Wehrdienstleistende? Und was passiert, wenn es zu wenig Freiwillige gibt? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Léocadie Reimers wurde 2001 geboren. Im selben Jahr hat die Bundeswehr alle Laufbahnen uneingeschränkt auch für Frauen geöffnet, seitdem arbeiten sie sich dort hoch. Das dauert. Im Jahresbericht der Wehrbeauftragten heißt es: „Soldatinnen in herausgehobenen Führungsfunktionen sind noch immer so selten, dass sie namentlich bekannt sind.“ Außerhalb des Sanitätsdiensts gibt es in ganz Deutschland – und das auch erst seit vergangenem Jahr – eine einzige Frau, die den höchsten Rang der Bundeswehr, den Generalsrang, bekleidet. Dass es im Sanitätsbereich drei Frauen sind, liegt daran, dass dieser Bereich bereits seit den Siebzigern für Frauen geöffnet ist. Mittlerweile arbeiten dort fast so viele Frauen wie Männer.
Mehr Respekt für Frauen, mehr emotionale Fürsorge für Männer
Eine, die den Sanitätsdienst gerne als Beispiel heranzieht, die sagt, schaut, es kann funktionieren mit der Parität, ist Hannah Singer. Sie ist Soldatin und wird in diesem Text nicht unter ihrem richtigen Namen auftreten. Das ist eine Vorgabe der Bundeswehr, auch zum Schutz von Daten, die die Sicherheit des Landes betreffen. Denn, sagt Singer, der Krieg in der Ukraine ist auch in Deutschland angekommen und wird hybrid geführt. Soldatinnen und Soldaten müssten sich deshalb besonders schützen.
Singer ist Anfang 30, Quereinsteigerin und Führungskraft. Zu dem Gespräch schaltet sie sich aus ihrer Wohnung zu. Sie trägt Uniform, die dunklen langen Haare hat sie zu einem Zopf zusammengebunden, im Regal hinter ihr stehen Anime Figürchen. Zur Bundeswehr kam sie eher zufällig, die Werbebranche, in der sie mit Anfang 20 feststeckte, langweilte sie, ein Kollege sagte, versuch’s doch mal beim Bund, nach der Grundausbildung ist sie geblieben. Ihr ziviles Leben beschränkt sich auf Wochenenden, Feiertage und Urlaube.
Bevor sie über die Wehrpflicht sprechen will, hat Hannah Singer ein paar andere Dinge zu sagen. Im Gegensatz zu Léocadie Reimers ist ihr Sexismus nämlich schon öfter begegnet, und darüber müsse man zuerst sprechen. Das System Bundeswehr sei zwar super gleichberechtigt, sagt sie, alles tipptopp, aber einige Männer hätten das eben noch nicht verstanden, „die haben lieber ihren Bro neben sich als eine Frau, mit der sie privat nur romantisch zu tun haben“. Langfristig könne die Bundeswehr nicht wehrhaft werden, sein, oder bleiben, sagt Singer, wenn sie für Frauen so viel weniger attraktiv ist, als für Männer. Und das liege auch an diskriminierendem, männlichem Verhalten. Auch Männern gegenüber. Singer fordert neben mehr Respekt für die Frauen auch mehr emotionale Fürsorge für die Männer.
Mehr Gleichbehandlung also. „Nicht zu verwechseln mit Gleichverpflichtung“, sagt die Soldatin. Im Gegensatz zu Léocadie Reimers, der Reservistin, ist sie nämlich ausdrücklich dagegen, dass Frauen auch verpflichtend zur Bundeswehr müssen, sollte die Regierung doch eine Wehrpflicht einführen. Denn: Frauen würden systemrelevante Berufe – Pflege, soziale Arbeit, Erziehung – ohnehin schon dominieren. „In Friedenszeiten wird gar nicht wahrgenommen, was die Frauen alles an Wehrhaftigkeit leisten“, sagt sie und greift damit zu einem Argument, das auch Emma Schmidt vorgebracht hat: Die Wehrfähigkeit einer Gesellschaft hängt nicht nur an der Bundeswehr. Außerdem, sagt Singer, „kostet ein Jahr für eine Frau viel mehr als für einen Mann“. Frauen hätten es wegen potenzieller Schwangerschaften und häufiger genutzten Teilzeitmodellen ohnehin schon schwerer, sich um ihre private Altersvorsorge zu kümmern. Wenn man sie dann auch noch verpflichten würde, ein weiteres Jahr zu verlieren? Die Soldatin seufzt. „Was sollen wir Frauen denn noch alles retten?“
Die drei Frauen teilen die Überzeugung, dass sich Deutschland verteidigen können müsse
Trotz ihrer Kritik an den patriarchalen Strukturen will Hannah Singer bei der Bundeswehr bleiben. Sie setzt sich für mehr Sichtbarkeit von Frauen ein und versucht, regelmäßig mit der Zivilbevölkerung ins Gespräch zu kommen. So möchte sie das Bild der Bundeswehr bei jungen Frauen wie Schmidt etwas gerade rücken. „Als die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, haben die Menschen die Fühlung zur Bundeswehr verloren“, sagt Singer. Vielleicht sei das der Grund, warum so viele jüngere Menschen die Bundeswehr ablehnten. Dabei, und da ähneln sich die Meinungen von Soldatin und Reservistin, sei die Bundeswehr als Arbeitgeber vielfältig und attraktiv. Ein bunter Blumenstrauß, der von außen aussehe wie ein grauer Klumpen.
Was würde Hannah Singer, die Soldatin, die für feministische Werte eintritt und ihren ganz persönlichen Sinn in der Verteidigung des Landes findet, Emma Schmidt, der Auszubildenden sagen, die die Bundeswehr „per se nicht schlecht“ findet, aber dass sie so männlich dominiert ist schon? „Sie soll mich mal anrufen“, sagt Singer. „Nein im Ernst: Emma fühlt sich von uns nicht repräsentiert, und das ist ein Problem, das tut mir leid, das müssen wir ändern.“
Emma Schmidt, Léocadie Reimers, Hannah Singer, gemessen an ihren Meinungen zur Wehrpflichtdebatte könnten die drei nicht unterschiedlicher sein. Bei einigen Punkten aber sind sie sich einig: Deutschland wird sich in Zukunft verteidigen können müssen. Und: Die Voraussetzung dafür ist, dass Frauen endlich ins Boot geholt werden.










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