Bei einer Veranstaltung des „Stern“ in Berlin hat Angela Merkel weitreichende Einblicke in politische Konfliktlinien, persönliche Haltungen und eigene Versäumnisse gegeben. Besonders deutlich äußerte sich die frühere Kanzlerin zu künstlicher Intelligenz, Geschlechtergerechtigkeit – und überraschend offen zu ihrer Klimapolitik.
Selbstkritik in der Klimapolitik
Selbstkritik gehört selten zu Merkels öffentlichen Auftritten, doch beim Klima wurde sie ungewöhnlich offen. Wenn sie sich frage, wo in ihrer Regierungszeit „zu wenig Herzblut“ gewesen sei, „dann nagt am meisten das Thema Klima“, sagte sie. Sie sei dem Vorsorgeprinzip verpflichtet gewesen – „und da bin ich den Ansprüchen nicht gerecht geworden“. Den notwendigen Weg habe sie „damals nicht gesehen“.
KI als geopolitische Konfliktlinie
Mit Blick auf die Entwicklung Künstlicher Intelligenz zeichnete Merkel ein alarmierendes Bild. Europa stehe vor einer „großen Schlacht“ mit den USA darüber, ob digitale Medien und Algorithmen reguliert werden können. Es werde erheblichen Druck geben, das zu verhindern. Ohne Regeln drohe Verlust an Kontrolle.
Von eigenen Tests mit ChatGPT erzählte sie mit trockenem Humor. Sie wisse inzwischen, „wie ich ChatGPT dazu bringen kann, mir das zu sagen, was ich hören will“. Der Chatbot sei „feige“. Seine Möglichkeiten seien faszinierend, „aber schreien nach Leitplanken“.
Feminismus und Förderpflicht
Die ehemalige Kanzlerin kritisierte die männliche Dominanz in der aktuellen Politik. Beim Blick auf Koalitionsausschuss-Bilder freue man sich fast automatisch, „dass es Bärbel Bas gibt“ – die einzige Frau in der schwarz-roten Runde.

© dpa/Michael Kappeler
Gleichberechtigung brauche verbindliche Maßnahmen, betonte Merkel. Es heiße oft, es gebe keine Frauen – „doch dann macht man es verbindlich, und plötzlich gibt es jede Menge Frauen, die das prima machen“. Sie selbst nenne sich Feministin, „aber auf meine Art“.
Ost-West-Debatte und Wandel
Zu Äußerungen von Kanzler Friedrich Merz über sein „Glück“, im Westen geboren zu sein, hielt Merkel fest, dass ihr eigenes Leben in der DDR keine weniger glückliche Herkunft bedeute. „Leben ist mehr als nur Staat.“
Sie erinnerte zudem daran, dass die Wiedervereinigung nicht nur im Osten, sondern im ganzen Land Veränderungen ausgelöst habe – etwas, das im Westen oft unterschätzt werde.
Kritik an den USA – bei anhaltender Zuneigung
Merkel äußerte sich kritisch über die neue US-Sicherheitsstrategie: Europa könne nicht akzeptieren, als „Störenfried“ betrachtet zu werden. Versuche, EU-Staaten einzeln herauszulösen, schadeten den europäischen Interessen.
Trotz politischer Differenzen schwärmte Merkel von der anhaltenden kulturellen Anziehungskraft der USA – von Blue‑Jeans‑Mythos und Bruce Springsteen bis zur Westküste.
Abschied von der Raute
Mit Humor kommentierte Merkel schließlich ihr altes Markenzeichen: Die berühmte Handraute mache sie heute kaum noch – „es passt nicht mehr so richtig“.

© dpa/Michael Kappeler
Viele Menschen formten sie nun neben ihr, „plagiatsverdächtig“, wie sie scherzte. (mit dpa/AFP/epd)

vor 5 Stunden
2









English (US) ·