Humanitäre Lage in Gaza: In Gaza ist selbst der Regen lebensgefährlich

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Überschwemmte Zeltlager, eingestürzte Häuser, Tote: Der erste schwere Wintersturm zeigt, wie dringend die Menschen in Gaza die zweite Phase der Waffenruhe brauchen.

12. Dezember 2025, 16:25 Uhr

 Menschen in Gaza-Stadt nach dem Unwetter
Menschen in Gaza-Stadt nach dem Unwetter © Jehad Alshrafi/​AP/​dpa

Wenn entlang Israels Küsten Straßen zu Flüssen werden, dann werden in Gaza ganze Zeltlager unterspült: Sturmtief Byron brachte diese Woche heftigen Regen im Nahen Osten. Zeitweilig hatten Experten sogar vor Wassermengen gewarnt, wie sie die Region "noch nie erlebt" habe. In Netanja in Israel mussten Menschen aus ihren Autos befreit werden, ein älterer Mann starb an Unterkühlung. Auch in Chan Junis in Gaza starb ein acht Monate altes Mädchen an den Folgen des Sturms. "Es ging ihr völlig gut. Ich habe sie letzte Nacht gestillt. Dann fand ich sie plötzlich frierend und zitternd vor", sagte die Mutter des Kindes, Hejar Abu Jazar, dem US-Sender CNN.

Hejar Abu Jazar und ihre Familie gehören zu den mindestens 800.000 vertriebenen Palästinensern in Gaza, die einen weiteren Winter in Zeltlagern fürchten. Nach Angaben der Vereinten Nationen befinden sich die meisten Zeltstädte entlang der niedrig gelegenen Küsten und damit im besonders von Überflutungen bedrohten Gebiet. "Menschen, die bereits alles verloren haben und alles brauchen, sind nun mit einer weiteren Katastrophe konfrontiert", sagte Philippe Lazzarini, Generalkommissar des Palästinenserhilfswerks der UN (UNRWA), am Donnerstag.

Der sandige Boden kann bereits die Wassermengen durchschnittlicher Winterstürme schlecht aufnehmen, oft staut sich das Wasser an der Oberfläche und fließt erst nach Stunden ab.

Durch den Klimawandel steigt zudem die Gefahr heftiger Winterstürme mit extremen Regenmengen im Nahen Osten, wie eine Studie des israelischen Weizmann-Instituts aus dem Jahr 2022 zeigt. Auch in Israel nehmen seit Jahren Überschwemmungen durch Winterstürme zu, die Alarmbereitschaft ist hoch. Wegen des Sturmtiefs Byron verhängte etwa die Stadtverwaltung von Tel Aviv eine Warnung, sich nicht in direkter Küstennähe aufzuhalten, und forderte dazu auf, die Straßen von Müll freizuräumen. 

Der Regen trifft auf ein zerstörtes Land

In Gaza dagegen sind die Menschen in den Zeltstädten dem Regen schutzlos ausgeliefert. Die Infrastruktur ist weitgehend zerstört. Wie die Vereinten Nationen in einem aktuellen Lagebericht erklären, liefern humanitäre Organisationen derzeit neben zusätzlichen Zelten und Planen auch mobile Wasserpumpen. Experten seien außerdem damit beschäftigt, verstopfte Abwassersysteme zu reinigen.

Damit müssen Hilfsorganisationen notdürftige Lösungen für eine aktuell ausweglose Situation finden. Durch Sturm Byron sollen mehrere durch israelische Angriffe beschädigte Häuser kollabiert sein, berichteten palästinensische Behörden am Donnerstag. Demnach seien fünf Menschen dabei getötet worden. Das zeigt einmal mehr, wie dringend Gaza nicht nur ein Ende der Kriegskämpfe, sondern auch eine Perspektive braucht. Doch weiterhin fehlen konkrete Pläne für den Wiederaufbau des fast vollständig zerstörten Küstengebiets.

Mehr als zwei Monate nach der von US-Präsident Donald Trump verhandelten Waffenruhe befindet sich das Abkommen immer noch in der ersten Phase. Israel kontrolliert mehr als 50 Prozent des schmalen Küstenstreifens. Wie unter anderem die Zeitung Ha'aretz berichtet, führt die Hamas derweil den westlichen Teil rund um Gaza-Stadt "mit eiserner Hand". "Die Gruppe verfüge über Tausende von Mitarbeitern, die mit leichten Waffen ausgerüstet seien. "Ihre Führung zögert nicht, brutale Gewalt gegen die Bewohner des Gazastreifens anzuwenden", schreibt dazu Amos Harel, Militärexperte der israelischen Tageszeitung.

So wenig, wie sich die Hamas in der Frage der Entwaffnung in Richtung Kompromiss bewegt, so wenig zeigt sich Israels Ministerpräsident bisher interessiert am Vorankommen der Verhandlungen, solange die letzte tote Geisel, Ran Gvili, nicht gefunden worden ist. Im nächsten Schritt nämlich müsste Netanjahu seinen rechtsextremen Koalitionspartnern mit den Zugeständnissen konfrontieren, die Trump von Israel verlangt: den schrittweisen Abzug der Armee einerseits – andererseits soll eine internationale Stabilisierungstruppe die Ordnungsmacht übernehmen und die palästinensische Seite mehr Einfluss bekommen.

Trumps Friedensplan gerät ins Stocken

Uneinigkeit herrscht auch über die Frage, wer die immensen Kosten, laut Vereinten Nationen mindestens 70 Milliarden US-Dollar, für den Wiederaufbau tragen soll. "Wir sind nicht diejenigen, die den Scheck ausstellen werden, um wieder aufzubauen, was andere zerstört haben", sagte etwa der Premierminister von Katar, Mohammed Abdulrahman Al Thani, am Sonntag in Doha. "Wenn man über Gaza spricht, dann hat Israel dieses Land dem Erdboden gleichgemacht." Zuvor hatten Saudi-Arabien und die Golfstaaten erklärt, ihre Unterstützung an die Zusage eines palästinensischen Staates zu knüpfen. Wie das Wall Street Journal bereits im Oktober berichtete, wollen die USA zunächst nur Wiederaufbaumaßnahmen im von Israel kontrollierten Teil von Gaza finanzieren.

Es scheint, als steckten die Verhandlungen über Trumps sogenannten Friedensplan für Nahost bereits in einer Sackgasse. Auch zwischen den USA und Israel deuten sich Spannungen an, die im Rahmen des Trump-Plans vereinbarte Zusammenarbeit zwischen israelischer und US-Armee funktioniert schlecht. Nach Informationen von Ha'aretz sollen etwa Mitarbeiter der Palästinensischen Autonomiebehörde auf israelischen Druck daran gehindert worden sein, das gemeinsam von der israelischen und der US-Armee verwaltete Koordinationszentrum für Gaza, kurz CMCC, in Kirjat Gat im Süden Israels zu betreten. Zuvor hatte der britische Guardian berichtet, dass die Israelis die gemeinsamen Treffen im Koordinationszentrum ohne Zustimmung der USA aufgezeichnet hatten. Das soll laut Guardian zu Streit geführt haben.

Ende Dezember soll Netanjahu erneut nach Washington, D. C. reisen. Wie es heißt, will er Trump dort zu neuen Zugeständnissen bewegen. Im Nahen Osten klarte derweil zumindest am Freitag der Himmel wieder auf, die Gefahren aber bleiben. Der Winter hat gerade erst begonnen. "Hier leben wir ein Leben voller Demütigungen", zitiert die britische BBC die Palästinenserin Ghadir al-Adham am Donnerstag. "Wir wollen Wohnwagen. Wir wollen, dass unsere Häuser wieder aufgebaut werden. Wir sehnen uns nach Beton, der uns warm hält."

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