Am Ende waren viele Verbiegungen und Zugeständnisse nötig, zwangsläufig. Frankreichs Premier Sébastien Lecornu ist es gelungen, eine erste wichtige Etappe zu gewinnen bei seinem komplizierten Versuch, dem Land ein reguläres, vom Parlament genehmigtes Budget für 2026 zu bescheren. Am Dienstagabend haben 247 Abgeordnete für seinen Sozialetat gestimmt; 234 waren dagegen; 93 enthielten sich der Stimme.
Dreizehn Stimmen also – das ist knapp. Aber so war es auch zu erwarten gewesen, vielleicht sogar noch knapper. Zur Erinnerung: Seit den vorgezogenen Parlamentswahlen im Sommer 2024 ist die französische Nationalversammlung in drei ungefähr gleich große Blöcke gespalten, ohne Aussicht auf eine stabile politische Mehrheit.
Frankreich hat von den großen EU-Staaten das höchste Staatsdefizit
Und so war der Macronist Lecornu, der mit Ministern aus der Mitte und von den rechten Republikanern regiert, auf Hilfe von außen angewiesen. Die kam in erster Linie von den oppositionellen Sozialisten, einer Fraktion von 69 Parlamentariern, die über die vergangenen Monaten hinweg Lecornu eine Reihe bedeutsamer Konzessionen abringen konnten. Zum Schluss waren aber auch die Grünen entscheidend, die bisher immer gegen diese Regierung gestimmt hatten. Auch sie hatten ihre Forderungen gestellt.
Konkret musste Lecornu unter anderem einwilligen, dass Emmanuel Macrons unpopuläre Rentenreform von 2023 ausgesetzt wird: Die Anhebung des Renteneintrittsalters bleibt damit vorerst bei 62 Jahren und 9 Monaten stehen. Das Rentengeld wird außerdem nicht eingefroren, wie das geplant war, um das hohe Staatsdefizit zu verringern, sondern trotz allem um die Inflation erhöht. Vorgesehen war auch eine Verdoppelung des Eigenanteils beim Kauf von Medikamenten: Die Sozialisten konnten die Sparmaßnahme verhindern.
Die Grünen wiederum drängten auf substanzielle Mehrausgaben im Gesundheitswesen, vor allem für die Krankenhäuser, und wurden ebenfalls zufriedengestellt. Der nun verabschiedete Sozialhaushalt ist zu voraussichtlich 22,5 Milliarden Euro defizitär – weit über der eingangs angestrebten Marke von 17 Milliarden.
Lecornu hatte vor der Abstimmung gewarnt, dass der Fehlbetrag noch deutlich höher ausfallen würde, wenn sich Frankreich kein ordentliches Budget für das kommende Jahr geben würde. Dann würde nämlich der Etat aus dem Vorjahr einfach übernommen, Posten für Posten. Das Defizit stiege wohl über 30 Milliarden Euro. Das hoch verschuldete Frankreich hat von allen großen Ländern der EU gerade das höchste Staatsdefizit. Und so wird es wohl bleiben.
Muss Lecornu auch die Reichensteuer schlucken?
Im Verlauf der fast dreimonatigen Debatte haben nur die beiden Extreme nicht mit sich verhandeln lassen: die radikal linke La France insoumise von Jean-Luc Mélenchon sowie der extrem rechte Rassemblement National von Marine Le Pen und deren Alliierte. Die France insoumise pocht schon seit einer Weile darauf, dass Macron die Konsequenzen aus der politischen Krise zieht, die er mit der Auflösung des Parlaments vor eineinhalb Jahren ausgelöst hatte, und zurücktritt. Le Pen wäre ihrerseits schon zufrieden, wenn Macron das Parlament erneut auflösen würde und bald Neuwahlen anberaumte. Beiden Parteien am Rand kann das politische Chaos gar nicht groß genug sein: Sie halten es für förderlich für ihre zukünftigen Wahlergebnisse. Andererseits zeigen Umfragen, dass sich eine Mehrheit der Franzosen wünscht, dass das Land ein Budget erhält und diese Phase der Ungewissheit überwindet. Lecornu feiert also einen kleinen Triumph, seine Methode der kleinen Schritte zahlt sich ein erstes Mal aus. Doch die Zeit drängt.
Spätestens am 23. Dezember muss das gesamte Budget stehen, also auch der Etat des Staatsapparats. Und noch ist nicht sicher, ob die Sozialisten wieder mitziehen. Wahrscheinlich werden sie erneut eine Steuer für Superreiche fordern, die „Taxe Zucman“ oder eine Abwandlung davon. Sie ist benannt nach dem Ökonomen Gabriel Zucman, der schlägt eine 2-Prozent-Steuer für all jene Franzosen vor, die ein Vermögen von mehr als 100 Millionen Euro haben. Etwa 1800 Franzosen zählen zu dieser Elite.
Bisher stellten sich die bürgerlichen und wirtschaftsliberalen Kräfte in Lecornus Kabinett stets gegen eine Reichensteuer. Sie argumentieren, dass die vermögenden Franzosen das Land wohl verlassen würden, wenn man sie höher besteuern würde. Eine solche Steuer stünde auch ziemlich quer zur gesamten Politik Macrons in den vergangenen achteinhalb Jahren, seit Beginn seiner Präsidentschaft also. Doch hat Lecornu eine Wahl?
Überhaupt verlangt der Premier seinem eigenen Lager viel Geduld und Toleranz ab. Einige Parteien im Regierungsbündnis mögen sich im Budget auch nicht wiedererkennen, so links ist es geraten. Doch dagegen stimmen mochten viele nun doch nicht: Die Sorge vor Neuwahlen ist noch ein bisschen größer als die Abneigung gegen einen Kompromisshaushalt mit politischer Schlagseite.









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