Jubelnde Frankfurter in Barcelona: Eine Niederlage, die eher erbauend ist
Foto:Joan Gosa / IMAGO
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Dino Toppmöller glaubte noch daran, bis zur letzten Sekunde gestikulierte der Trainer an der Seitenlinie, zeigte Lauf- und Passwege an.
Die Uhr tickte herunter beim FC Barcelona, und Eintracht Frankfurt war noch im Spiel. Nervös, mit Querschlägern und etlichen Ballverlusten verteidigten die Gastgeber ihre knappe Führung.
All das konnten die Frankfurter auf der Habenseite verbuchen nach einer 1:2-Niederlage in der Baustelle Camp Nou. Denn in der Krisenstimmung der letzten Tage hatte ihnen kaum jemand überhaupt die Chance auf ein enges Match eingeräumt. Vielleicht nicht mal sie selbst.
Die Eintracht ist in gewisser Weise ein Opfer des eigenen Erfolgs der vergangenen Jahre, sie erleidet das typische Symptom von Vereinen, für die es lange nur bergauf ging. Irgendwann kommt man auf einem Plateau an, und dann gilt ein siebter Platz in der Bundesliga plötzlich als Problem, dann geht es um die Punktausbeute in der Champions League und nicht mehr um die Teilnahme an sich.
Ein gewisser Fatalismus hatte also die hessische Delegation nach Katalonien begleitet, jedenfalls im Umfeld schien es nur um die Höhe, nicht die Gewissheit der Niederlage zu gehen.
Schließlich gab es jenseits der Tabellensituationen auch noch die Eindrücke und vor allem die Ergebnisse gegen starke Gegner: 0:3 gegen die Bayern, 1:5 gegen Liverpool, 0:3 gegen Atalanta, zuletzt und besonders: 0:6 in Leipzig.
Eintracht-Trainer Toppmöller in Barcelona: »Wir sind eine gute Mannschaft«
Foto: Alejandro Garcia / EPADagegen kann man ein 1:2 im Camp Nou schon mal als Erfolg werten.
Um Mitternacht analysierte Toppmöller das Geschehen mit seinem leichten saarländisch-hessischen Akzent, der ein wenig stärker wird, wenn ihm etwas wichtig ist. Das Spiel in Leipzig habe »uns allen wehgetan. Wir wollten zeigen, dass das nicht unser wahres Gesicht ist«, sagte er: »Viel wichtiger als das Ergebnis war heute, den Glauben an sich zu zeigen.« Denn mit so einem 0:6 »bröckelt natürlich das Selbstverständnis, kommen Selbstzweifel auf«. Welch bessere Bühne als das Camp Nou also, um zu demonstrieren, »dass wir eine gute Mannschaft sind«.
Die derzeit im Umbau befindliche Stadionlegende kann als Frankfurts zweite Heimat gelten, seit sie 2022 in der Europa League von rund 30.000 Hessen eingenommen wurde. Historischer Coup aus Eintracht-Sicht, historische Demütigung aus Barça-Sicht. Als Subtext war die Invasion erneut präsent, und auch wenn nach diesmal strengen Verkaufskontrollen nur rund 2500 Frankfurter in ihre Wohlfühloase gelassen wurden, machten sie reichlich Radau, schmissen Bierbecher und Bengalos. Die trennende Plexiglasscheibe drohte zu zerbrechen, ein Securityeinsatz beruhigte die Lage.
»Können auch gegen so einen Gegner mithalten«
Die Zwischenfälle begleiteten die Phase der Unachtsamkeit, die Frankfurt nach Pausenführung das Spiel kosteten. Eher hausunüblich im Tiki-Taka-Tempel waren es zwei Kopfballtore des Verteidigers Jules Koundé, die Barça vom Szenario erlösten, die erste Niederlage seit dem Rückzug ins Camp Nou gleich wieder von dieser nervigen Eintracht eingeschenkt zu bekommen. Vor dem ersten Treffer auf starke Vorarbeit von Marcus Rashford wurde Frankfurt dabei »von Barcelona auch mal auseinandergespielt, das muss man akzeptieren«, so Toppmöller. Der zweite aber, vor dem eine Flanke von Lamine Yamal schier ewig durch die Luft segelte, den fand der Trainer »ärgerlich« und Sportvorstand Markus Krösche sogar »extrem ärgerlich.«
Ansonsten aber hatte auch der Manager nur lobende Worte parat. »Die Jungs« hätten gesehen, »auch gegen so einen Gegner mithalten« zu können, »wenn sich jeder an den Plan hält«, so Krösche. Auseinandergespielt wurde die Eintracht in der Tat nur sehr selten. Rumorte es jüngst durchaus auch in Bezug auf das Standing von Toppmöller, ließ sich die Darbietung im Camp Nou insofern als klarer Trainererfolg werten.
Die Eintracht präsentierte sich mit besseren taktischen Lösungen als die meisten Auswärtsteams in Barcelona. Barça lebt auch davon, dass es die gegnerische Abwehr zum Spielen lockt und dann mit hohem Pressing überrumpelt. Aber die Eintracht lässt sich nicht locken.
Eintracht-Torschütze Knauff: Treffer mit therapeutischer Wirkung
Foto: Sergio Ruiz / Pressinphoto / IMAGO»Defensivplan überragend umgesetzt«, resümierte Toppmöller. »Die Eintracht hat fantastisch verteidigt«, lobte Barça-Coach Hansi Flick: »Es gab keinen Platz.«
Nur in ausgesuchten Momenten suchte Frankfurt den Konter oder gar die offene Feldschlacht – ironischerweise besonders direkt nach der Halbzeit und damit kurz vor den Gegentreffern. »Der Tenor in der Halbzeit war, dass wir das Gefühl hatten, dass was geht«, so Toppmöller: »Dass wir Bock hatten, ein weiteres Tor zu erzielen.«
Die Erkenntnis: Hey, wir sind ja gar nicht so schlecht! Besonders das Führungstor hatte eine therapeutische Wirkung hervorgerufen. Da war das elegante Solo von Vorbereiter Nathaniel Brown, da war Vollstrecker Ansgar Knauff, der letzte Verbliebene von 2022, der erneut vom Geist des Ortes beseelt wurde. Später, kurz vor Schluss, zog sogar ein eher unüblicher Verdächtiger wie Rasmus Kristensen noch mal mit Tricks und Dribblings über den Platz.
Es waren die Momente, die zeigten, was in der Mannschaft stecken kann.
Die Eintracht, sie darf sich wieder als Champions-League-Team fühlen – auch wenn es in der Champions League wohl bald vorbei sein wird. Vorige Saison brauchte es elf Punkte zum Einzug in die Playoff-Runde. Die Frankfurter können mit den letzten beiden Spielen in Qarabağ und gegen Tottenham noch maximal auf zehn Punkte kommen. Und selbst wenn es diesmal damit eine Chance geben sollte, dürfte ihnen ihre schwache Tordifferenz von derzeit -8 zum Verhängnis werden.
»Wir wussten schon nach der Auslosung, dass das ein brutales Brett wird«, erinnerte Toppmöller an das schwere Programm mit je zwei Gegnern aus den Topligen England, Italien und Spanien. In Barcelona hat seine Mannschaft über sich gelernt, dass sie da trotzdem ab und an schon mal reinbohren kann.

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